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Archiv-Artikel

„Die Leute haben die Nase voll“

Den Nahostkonflikt hat die Bremerin Christiane Gerstetter gerade live erlebt. Ein halbes Jahr hat sie in Israel und Palästina Friedensprojekte unterstützt. Im Interview sagt sie, warum Frieden möglich ist

taz: Sie haben im Auftrag einer Friedensinitiative drei Monate in einem 100-Seelen-Dorf in der Westbank gelebt – wie haben Sie dort für Frieden gesorgt?

Christiane Gerstetter: Unsere Hauptaufgabe bestand darin, Präsenz zu zeigen und die Dörfler damit zu schützen. Das Dorf liegt in der Nähe einer israelischen Siedlung und wurde in der Vergangenheit von dem Teil der Siedler angegriffen, der aus ideologischen Gründen dort lebt. Die haben zum Beispiel den ElektroGenerator verbrannt oder Leute verletzt, so dass fast alle Dorf-Bewohner aus Angst vor weiteren Angriffen geflohen waren.

Und was haben sie gemacht, um die Siedler abzuschrecken?

Es geht vor allem darum, denen zu zeigen, dass wir da sind. Wir tragen Westen, die uns als internationale Beobachter ausweisen, damit sind wir im Dorf unterwegs oder begleiten die Leute, wenn sie auf Feldern arbeiten.

Sie waren so etwas wie ein menschliches Schutzschild?

Ja, aber ein relativ schwaches. Wir sind ja nicht dort hin gegangen, wo Bomben fielen oder haben uns vor Bulldozer gestellt, die ein Haus zerstören.

Passt „Blauhelm“ besser?

Nein, auch nicht. Wir heißen offiziell „Begleiter“ und sind der Gewaltfreiheit verpflichtet, das heißt wir tragen keine Waffen. Wir haben auch versucht Konfrontationen zu vermeiden und haben nur in Einzelfällen interveniert, zum Beispiel, wenn ein Soldat sich an einem Checkpoint sehr unangemessen oder aggressiv verhalten hat, haben wir nachgefragt, ob das sein muss und gegebenenfalls auch über israelische Organisationen die Vorgesetzten informiert.

Sind das nicht sehr kleine Schritte angesichts der derzeitigen Situation?

Natürlich habe ich mir auch gewünscht, dass ich mehr bewirken könnte, aber dieser Weg der kleinen Schritte ist derjenige, der Hoffnung bietet. Alles, was den Gedanken an Frieden wach hält, ist ungeheuer wichtig. Außerdem freuen sich die Menschen auf beiden Seiten dort darüber, dass sie im Ausland wahrgenommen werden. Die israelische Friedensbewegung ist recht klein und hat das Gefühl, in der eigenen Gesellschaft an den Rand gedrängt zu werden. Bei den Palästinensern ist es genauso, die fühlen sich von der Welt vergessen.

Haben Sie noch Hoffnung auf Frieden?

Ja, ich glaube, dass es sehr viele Menschen auf beiden Seiten gibt, die die Nase voll haben und endlich Ruhe wollen.

Auch wenn das bedeutet, Israels Existenz endgültig anzuerkennen?

Es gab auch in dem Dorf sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen sagen, wenn uns nur die Siedler in Ruhe lassen, wollen wir in Frieden mit den Israelis leben. Es gab auch Leute, die gesagt haben, Jerusalem ist unser, das gehört nicht den Juden.

War letzteres die überwiegende Meinung?

In dem Dorf nicht. Aber wenn du in ein Flüchtlingslager gehst, wo jede Nacht israelische Militäraktionen sind, weil dort islamistische Organisationen eine große Anhängerschaft haben, kann das ganz anders aussehen. Es liegt immer daran, welche Erfahrungen die Menschen gemacht haben und welchen Kontakt sie zu der jeweils anderen Seite hatten.

Wo positionieren Sie sich?

Das mache ich nicht. Genau dieses Denken, ob pro-israelisch oder pro-palästinensisch, ist ein Teil des Konfliktes. Man muss das Leiden beider Seiten anerkennen und versuchen sie zu verstehen. Wobei ich ganz klar sage, dass die israelische Besatzung aufhören muss.

In Deutschland ist ja die Seite sehr laut, die einseitig Israel in die Pflicht nimmt – und palästinensische Selbstmord-Attentate als Reaktion auf die Besatzung entschuldigt.

Ich glaube, es ist sehr wichtig, sich deutlich für das Existenzrecht Israels und gegen die Attentate auszusprechen. Diese schüren genauso wie die Besatzung Frustration und Misstrauen. Sie mögen aus einer Unterdrückungserfahrung entspringen, aber es gibt immer eine Wahl des Individuums.

Was bestärkt Sie in Ihrer Hoffnung auf Frieden?

Unter anderem die Begegnung mit israelisch-palästinensischen Friedensorganisationen wie „Combatants for Peace“, in der sich israelische Ex-Soldaten mit Palästinensern treffen, die an Attentaten beteiligt waren und dafür auch im Gefängnis saßen. Wenn diese Leute ihre persönliche Wandlungsgeschichte erzählen, das macht schon Mut. So etwas ist auch nachhaltiger als etwa eine internationale Friedenstruppe, die als Puffer dazwischen gesetzt wird, ohne dass es zu einer Versöhnung der Konfliktparteien kommt, wo auf einer persönlichen Ebene etwas passiert. Fragen: Eiken Bruhn

Ausführliches Gespräch mit Gerstetter: 28. Juli, 9 Uhr, Norwestradio.