Beängstigender Kulturkampf um die Familie

FRANKREICH Eine tiefe ideologische Verunsicherung treibt die erzreaktionären Kräfte im Land auf die Barrikaden. Und das zu Zehntausenden. Ihren Ursprung haben diese Gruppen im rechtsradikalen Lager

AUS PARIS RUDOLF BALMER

Von einem „Erwachen des reaktionären Frankreichs“ sprach am Wochenende die Zeitung Le Monde, während Libération hinter der reaktionären Bewegung, die sich den verfänglichen Namen „La Manif pour tous“ („Demo für alle“) gegeben hat, vor allem eine „Manip’ pour tous“, das heißt eine große „Manipulation“, ausmacht. Le Figaro dagegen beschreibt mit unverhohlener Billigung eine „große Mobilisierung für die Familie“ und unterstreicht deren „friedlichen“ Charakter und Verlauf. Bei früheren Demonstrationen gegen die Legalisierung der Homo-Ehe und am vorletzten Sonntag bei einem „Tag des Zorns“, als antisemitische und rassistische Slogans gerufen wurden, war es am Ende zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Rechtsradikalen und der Polizei gekommen.

An diesem Sonntag demonstrierten erneut Zehntausende von Menschen, meist ganze Familien mit ihren Kindern, gegen die „Familien-Phobie“ der Regierung. Sie sehen die traditionelle Familie in existenzieller Gefahr. Und schuld daran sei die „familienfeindliche“ Linksregierung. Zur genaueren Eingrenzung der Feindbilder bekommt man auf Wunsch gleich eine ganze Auswahl geliefert: die antiautoritären 68er, die Feministinnen, die LehrerInnen des staatlich-weltlichen Erziehungssystems und vor allem die Lesben, Gays, Bi- und Transsexuellen, oder gleich die ganze Linke, die für diese Leute weit rechts vom bürgerlichen Zentrum beginnt.

Sie sind empört über die inzwischen legalisierte Homo-Ehe, die straflose Abtreibung, die öffentlich geförderten Verhütungsmittel, die Kampagnen der sexuellen Aufklärung. Nach eigenen Aussagen kämpfen sie gegen eine Liberalisierung der medizinisch unterstützten Befruchtung oder eine Legalisierung der „Leihmütter“, obschon keine Regierungsvorlagen in diesem Sinne existieren.

Wo die Gefahr für die Familie nicht benannt werden kann, wird frei erfunden und mit Gerüchten operiert. In den letzten Wochen zirkulierten anonyme SMS, welche die Eltern warnten, es gebe auf der Kindergartenstufe Sexualunterricht, bei dem den Kleinen „praktisch“ gezeigt werde, was Masturbation und Homosexualität sei. Auch werde den Knaben gesagt, sie könnten Mädchen werden und umgekehrt, das sei die „Gender-Theorie“, welche die Geschlechtsunterschiede leugne. Diese Manipulationen zeigen, worum es in Wirklichkeit geht: um die stereotypen Geschlechterrollen.

Hinter der Angstmacherei steht eine Bewegung, die mit dem Kampf gegen die Homo-Ehe begonnen hatte und sich nun als reaktionäre politische Kraft festsetzt, die oft mit der amerikanischen Tea Party verglichen wird. Dahinter stehen als Organisatoren eindeutig rechtsextreme Kreise, die oft sogar dem Front National von Marine Le Pen nicht ganz geheuer sind. Der Printemps Français als radikaler Flügel der Homophoben vereint mehrere „historische“ rechtsextreme Gruppierungen wie Action Française und Oeuvre Française oder den neueren Bloc Identitaire. Den kirchlichen Segen dazu gibt als Stimme der rechtskatholischen Integristen das Institut Civitas.

Dass es solchen Gruppen gelingt, mit Zehntausenden von Mitläufern das Pflaster von Paris zu erobern und scharenweise Nachwuchs zu rekrutieren, ist bedenklich. Sprecher der sozialistischen Regierungspartei, unter ihnen SOS-Racisme-Gründer Julien Dray, riefen nun zu einer Gegenmobilisierung für die Grundwerte der „brüderlichen Republik“ auf. Oppositionschef Jean-François Copé sagte dagegen, die Demonstration vom Sonntag sei „sehr wichtig“ gewesen. Sie zeuge von einem „tiefen Unbehagen“ der Franzosen über die Stellung der Familie.