: Mehr Rechte für Versicherte
Die Bundesregierung will das fast hundert Jahre alte Versicherungsvertragsgesetz ändern. Verbraucherschützer bezweifeln den Nutzen der neuen Regelung für die Kunden
HAMBURG taz ■ Versicherungen sind eine komplizierte Sache. Die Vertragsdetails für Lebensversicherung oder Autohaftpflicht werden höchstens von Fachleuten durchschaut, selbst die Verkäufer blicken oft kaum durch. Dabei besitzt jeder Bundesbürger durchschnittlich sechs Policen, allerdings oft die falschen oder zu teure. Die Verwirrungen sind auch Folgen des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) aus dem Jahr 1908. Deshalb will es die Bundesregierung nun reformieren. „Das geltende Gesetz wird den Bedürfnissen eines modernen Verbraucherschutzes nicht mehr gerecht“, sagt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD). Ihr Referentenentwurf soll nach der Sommerpause vom Kabinett verabschiedet werden.
Ein Knackpunkt ist die Frage, wie am besten Transparenz für den Vertragskunden zu schaffen ist. „Die meisten Haushalte sind falsch versichert“, sagt Wolfgang Scholl, der Versicherungsexperte des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (VZBV). Obwohl es in Deutschland rund 485 Millionen Versicherungsverträge gibt, blieben größte finanzielle Risiken unversichert. „Dafür wimmelt es nur so von unnötigen Luxus-Policen.“ Denn in der Alltagspraxis lassen sich die Angebote kaum vergleichen: Die vollständigen Unterlagen mit allen Details bekommen die Kunden nämlich erst, wenn die fertige Police lange nach Vertragsabschluss mit der Post kommt.
Künftig, so sieht es der VVG-Entwurf vor, sollen „alle Informationen“ vor der Unterschrift geliefert werden, es sei denn, der Kunde verzichtet freiwillig darauf. Experten befürchten, dass die Versicherungsunternehmen die Verbraucher nun mit Massen von juristischen Details erschlagen. „Ob die Verbraucher die Papierflut überhaupt vorher haben wollen, ist dem Gesetzgeber offensichtlich wurscht“, meint Manfred Poweleit, Chefredakteur des Fachinfodienstes Map-Report. Ähnlich skeptisch äußert sich die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. Der Privatkunde, oft juristischer Laie, lese die umfangreichen Bedingungen der Versicherer nur selten.
Daher plädiert Ver.di-Versicherungsexperte Richard Sommer für eine klare Regelung: ein Blatt Papier mit den wesentlichen Punkten. „Der Kunde will in allgemein verständlicher Sprache und nachvollziehbarer Formulierung die Vertragsinhalte in ihrem Kern verstehen können.“
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat umgehend angekündigt, dass die Versicherer den Kunden zukünftig freiwillig knackige Zusammenfassungen der Verträge an die Hand geben werden. Gewerkschaften und Verbraucherschützer wollen jedoch gesetzliche Standards, damit die Angebote auch vergleichbar werden.
Ähnlich umstritten ist die geplante Änderung des Alles-oder-nichts-Prinzips. Derzeit zahlt die Versicherung 100 Prozent, wenn ein Schaden ohne Verschulden oder aus „einfacher Fahrlässigkeit“ eingetreten ist. Glaubt sie, der Versicherte habe grob fahrlässig gehandelt, gibt es nichts. Künftig soll ein abgestuftes Modell gelten, das den Grad des Verschuldens berücksichtigt. Fachanwälte und Verbraucherschützer befürchten allerdings, das wiederum führe dazu, dass die Versicherer regelmäßig nur einen Teil der Versicherungssumme anbieten und die Fälle dann vor Gericht landen. „Dann müssen die Richter die eigentliche Schadenregulierungsarbeit leisten“, erklärt VZBV-Mann Scholl. Außerdem scheuten viele Kunden den Weg vor Gericht. Effekt: Die Versicherungen würden ihr Angebot nach der Wahrscheinlichkeit ausrichten, mit der der Versicherte vor Gericht zieht. Scholl: „Die Beweislast muss deshalb grundsätzlich beim Versicherer liegen.“
Beinahe zufrieden sind die Verbraucherschützer dagegen mit der Änderung der so genannten Anzeigepflichten: Bei einer Hausratsversicherung muss der Kunde der Versicherung alle Umstände mitteilen, die das Risiko etwa eines Einbruchs erhöhen. Dabei ist allgemein bekannt, dass der Aufbau eines Gerüsts an der Fassade anzeigepflichtig ist. Aber auch, dass ein Gewerbebetrieb oder eine Praxis im Haus dazuzählt, weil dadurch die Haustür dadurch öfter offen steht? Bislang entscheidet der Versicherer, was Risikofaktoren sind. Der Kunde erfährt das womöglich erst, wenn er einen Einbruch meldet – und in die Röhre guckt. Künftig braucht er nur noch das anzugeben, wonach der Versicherer schriftlich fragt. Und: Wenn der Versicherer glaubt, der Kunde habe die Anzeigepflicht verletzt, muss er das innerhalb von 5 Jahren geltend machen. Hier wünschen sich die Verbraucherschützer lediglich eine Verkürzung der Frist auf 3 Jahre. HERMANNUS PFEIFFER