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Archiv-Artikel

Südossetien: Abtrünnige Republik von Russlands Gnaden

Für die meisten Südosseten und ihre separatistische Regierung war der 26. August 2008 ein Freudentag. Da unterzeichnete Russlands Präsident die Anerkennung der Unabhängigkeit Südossetiens. Diesem Schritt sind bisher jedoch nur Nicaragua, Venezuela und Nauru gefolgt.

Bereits 1989, also zwei Jahre vor dem Zerfall der Sowjetunion, hatte sich Südossetien, wo auf einer Fläche von 3.885 Quadratkilometern heute schätzungsweise 30.000 Menschen leben, von Georgien losgesagt. Bei Kämpfen 1991/92 starben auf beiden Seiten jeweils etwa 2.000 Menschen. Im Juni 1992 schlossen Russland und Georgien ein Waffenstillstandsabkommen, doch eine dauerhafte Befriedigung der Region gelang nicht, auch nicht durch ein weiteres georgisch-russisches Waffenstillstandsabkommen vom Juli 2004. Fest entschlossen, Südossetien und die zweite abtrünnige Republik Abchasien wieder unter georgische Kontrolle zu bringen, legte Präsident Michail Saakaschwili acht Monate später der UN-Vollversammlung einen entsprechenden Plan vor. Beide Gebiete lehnten das Angebot ab.

Im August 2008 entluden sich die Spannungen in einem fünftägigen Krieg zwischen Georgien und Russland, den Georgien begonnen hatte. Russland begründete sein militärisches Eingreifen unter anderem damit, seine Staatsbürger – über 90 Prozent der Südosseten haben russische Pässe – schützen zu wollen. Bei der georgischen Offensive kamen mindestens 162 südossetische Zivilisten ums Leben. Zehntausende Menschen wurden zu Flüchtlingen und ganze georgische Dörfer in Südossetien zerstört oder ethnisch gesäubert.

Derzeit befinden sich in Südossetien 1.700 russische Soldaten. Im April unterzeichneten Russland und Südossetien einen Vertrag über den russischen Militärstützpunkt in Südossetien. Danach übernimmt Moskau für die nächsten 45 Jahre die Verteidigung und den Schutz der abtrünnigen Republik.

Nach dem Rechtsgutachten zum Kosovo fühlen sich Russland und Südossetien bestätigt: „Das ist ein Präzedenzfall, der den Politikern und der Weltöffentlichkeit die Möglichkeit gibt, eine neue Sichtweise zur Souveränität Abchasiens und Südossetiens einzunehmen“, sagte der Vorsitzende des Verteidigungs- und Sicherheitsausschusses im russischen Föderationsrat, Viktor Oserow. BARBARA OERTEL

Südsudan: Die Unabhängigkeit als Präzedenzfall für Afrika

Der Stichtag steht schon fest: Am 9. Januar 2011 stimmen die 8 Millionen Einwohner Südsudans über die Unabhängigkeit ab. Das legten Sudans Regierung und Südsudans Befreiungsbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) fest, als sie am 9. Januar 2005 Frieden schlossen und 23 Jahre Krieg beendeten. Das Abkommen ist völkerrechtlich bindend.

Das ist ein Triumph für die schwarzafrikanischen, nichtmuslimischen Volksgruppen Südsudans, die noch nie vom muslimischen, arabischen Norden regiert werden wollten, weil dieser sie traditionell versklavte. Dass die Südgebiete überhaupt Teil Sudans sind, ist eine Folge der Kolonialzeit. Um Deutsche und Franzosen vom Nil fernzuhalten, dehnten die Briten Ende des 19. Jahrhunderts das britisch-ägyptische Sudan-Kondominium weit nach Süden aus. Die Nomadenvölker der Nilsümpfe im Südsudan merkten das erst Jahrzehnte später. Seitdem der Sudan 1956 unabhängig wurde, wollen sie nicht dazugehören.

Eine Sezession Südsudans wäre ein Novum für Afrika. Bisher galt der Grundsatz, dass Afrikas koloniale Grenzen zu respektieren seien. Mit diesem Argument wurde 1969–1972 die Sezession Südostnigerias unter dem Namen „Biafra“ niedergeschlagen.

Afrikanische Kommentatoren fürchten nun, dass es nach Südsudans Unabhängigkeit nicht mehr möglich sein wird, Abspaltungen zu verhindern. Wenn sich der Sudan spaltet, warum nicht auch die Vielvölkerstaaten Nigeria und Demokratische Republik Kongo? Warum muss die Exklave Cabinda bei Angola bleiben, das Gebiet Casamance bei Senegal, die Insel Sansibar bei Tansania? All diese Territorien haben eine eigene Kolonialgeschichte und stehen mit der Zentralregierung auf Kriegsfuß. Noch klarer ist der Fall Somaliland, seit 1992 faktisch unabhängig vom chaotischen Rest Somalias: Während der Kolonialzeit war dieses Gebiet britisch, der Rest Somalias italienisch. Die beiden Territorien vereinigten sich bei der Unabhängigkeit 1960 freiwillig, und eine erneute Trennung würde lediglich koloniale Grenzen wiederherstellen.

Bis zum Unabhängigkeitsreferendum hat Südsudan eine SPLA-geführte Autonomieregierung. Es laufen diplomatische Bemühungen, Südsudan nach der Volksabstimmung in eine Konföderation mit dem Restsudan zu zwingen. DOMINIC JOHNSON

Kaschmir: Von Atommächten umkämpft

Politiker in Pakistan und in Indien werden auf die Frage, warum beide Staaten nicht in Frieden miteinander auskommen können, immer wieder den Kaschmir-Konflikt benennen. Schon dreimal haben die beiden Atommächte wegen Kaschmir Krieg gegeneinander geführt.

Schon bald nach der 1947 erfolgten Aufteilung des britischen Kolonialgebietes kam es zwischen Indien und Pakistan zu schweren Kämpfen um das vormals halbautonome, mehrheitlich von Muslimen bewohnte Fürstentum. Die Demarkationslinie, an der die Truppen zum Stehen kamen, bildet bis heute die De-facto-Grenze zwischen beiden Staaten.

1948 schalteten sich die gerade gegründeten Vereinten Nationen in den Konflikt ein. Der UN-Sicherheitsrat erließ eine Resolution, die alle pakistanischen Freischärler dazu aufrief, sich aus Kaschmir zurückzuziehen. Indien sollte im Gegenzug die Kaschmiris in einem Referendum über ihre Zukunft entscheiden lassen. Die pakistanischen Truppen und Paramilitärs blieben; Indien nahm das zum Anlass, das Referendum zu verweigern. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Ende der Achtzigerjahre entsandte Pakistan Mudschaheddin-Kämpfer, die zuvor gegen die Rote Armee in Afghanistan gekämpft hatten, in den indischen Teil von Kaschmir. Viele Kaschmiris sagten später, der Fall der Berliner Mauer habe in ihnen den Glauben gestärkt, ihr Schicksal ändern zu können.

Ausländische und einheimische Aufständische begannen einen Unabhängigkeitskrieg, den sie gegen die Übermacht einer zahlenmäßig weit überlegenen indischen Armee nicht gewinnen konnten. Geschätzt 100.000 Menschen kamen in den folgenden zwei Jahrzehnten ums Leben, noch heute werden Massengräber aus dieser Zeit gefunden.

Nach 2004 wurde es in Kaschmir ruhiger. Doch seit dem Tod eines 17-Jährigen, der am 11. Juni beim Einsatz von Tränengas durch die Polizei ums Leben kam, eskaliert der Konflikt wieder. Bei Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Srinagar und in anderen Orten kamen innerhalb von fünf Tagen mindestens 24 Menschen ums Leben.

Stellt man Kaschmiris die Frage, ob sie lieber zu Indien oder Pakistan gehören möchten, kommt in aller Regel dieselbe Antwort: Weder noch.

SASCHA ZASTIRAL