: Zweifel am Alibi von John Demjanjuk
NS-PROZESS Historiker: Gefangenenlager war schon befreit, als Angeklagter dort noch eingesessen haben will
BERLIN taz | Im Prozess gegen den 90-Jährigen mutmaßlichen NS-Kriegsverbrecher John Demjanjuk in München hat ein Sachverständiger erhebliche Zweifel an dessen Alibi geäußert. Während die Staatsanwaltschaft Demjanjuk vorwirft, 1943 im Vernichtungslager Sobibor am Mord von mindestens 27.900 Juden beteiligt gewesen zu sein, behauptet der Angeklagte, die Zeit bis zum Sommer 1944 als Gefangener der Wehrmacht in einem Lager verbracht zu haben.
Der US-Militärhistoriker Bruce Menning sagte dazu, das passe nicht zu den historischen Tatsachen. Im Wehrmachtlager Chelm, in dem Demjanjuk gefangen gehalten worden sein will, seien schon am 1. April 1944 nur noch 464 Gefangene gewesen, sagte er. Im Sommer 1944 sei die Stadt schließlich von der Roten Armee befreit worden. „Selbst wenn man den Aussagen über einen langen Aufenthalt Glauben schenkt, ist er begrenzt auf Frühjahr 1944“, sagte Menning, der als Sachverständiger an einem US-Verfahren gegen Demjanjuk in Cleveland teilgenommen hatte.
Als unstrittig in dem Prozess gilt, dass Demjanjuk als Rotarmist in deutsche Gefangenschaft geriet. Die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der Angeklagte bald danach von der SS in einem Lager in Trawniki zum Wachmann ausgebildet wurde.
Diese „Hilfswilligen“ nahmen an Ghettoräumungen teil und bewachten Zwangsarbeiter. Zentrales Beweismittel im Prozess ist ein SS-Ausweis, laut dem Demjanjuk in Sobibor eingesetzt wurde. KLAUS HILLENBRAND