piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit Woodstock gegen Warschau

Am Wochenende findet in Kostrzyn wieder das größte Open-Air-Konzert in Europa statt. Organisator Jurek Owsiak sieht das Event an der Grenze auch als Demo gegen die Kaczyński-Brüder in Warschau

von JAN STERNBERG

Der Fernsehmoderator Jurek Owsiak hatte nie viel für Politiker übrig. „Was ist das für ein Land, wo Jugendliche keine Arbeit finden und Politiker sich die Taschen voll stopfen!“, schimpfte er schon vor Jahren von der Bühne seines „Haltestelle Woodstock“-Festivals.

Der 53-Jährige ist ein Held bei den polnischen Jugendlichen. Warschauer Medien haben den 53-Jährigen einmal „den bekanntesten Mann Polens nach Johannes Paul II.“ genannt. Seine „Stiftung des Großen Orchesters zur Festtagshilfe“ (WOSP) sammelt seit 15 Jahren, jeweils an einem einzigen Tag im Januar, mehrere Millionen Euro an Spenden für Kinderkrankenhäuser. Im Sommer bekommen die Sammler – und alle anderen – dann ein großes, zweitägiges Festival als Dankeschön spendiert: die „Haltestelle Woodstock“.

Sie findet dieses Wochenende zum dritten Mal auf einem ehemaligen Militärgelände an der deutsch-polnischen Grenze in Kostrzyn (Küstrin) statt. Erwartet werden wieder 350.000 Gäste. Die „Haltestelle Woodstock“ ist Europas größtes Open-Air-Festival. Und sie ist Jurek Owsiaks Chance, der nationalkonservativen polnischen Regierung eins auszuwischen. Denn seit die Kaczyński-Zwillinge regieren, hat Owsiak für Politiker noch weniger übrig. „Ich habe einen großen Sinn für Humor, über mich kann man auch Witze machen“, sagte er offenbar in Anspielung auf den „Kartoffelkrieg“ zwischen der taz und Lech Kaczyński.

Jurek Owsiak versucht in Deutschland die Risse im deutsch-polnischen Verhältnis zu kitten. Und natürlich für Woodstock zu werben. „Von unserem Herrn Präsidenten unterscheidet mich, dass er nie auf so eine Idee gekommen wäre.“ Nirgendwo sonst kämen so viele Polen und Deutsche friedlich zusammen wie auf dem kostenlosen zweitägigen Festival. Die „Haltestelle Woodstock“ fand ursprünglich an verschiedenen Orten in Polen statt und war dann extra an die Oder gezogen, um diese Begegnungen zu ermöglichen. Sieht sich Jurek Owsiak als Polens inoffizieller Präsident und Neben-Außenminister? „Wir sind völlig unpolitisch“, sagt er ernst. „Aber das ist auch eine Art, Politik zu machen. Und dass unsere Organisation alle Glaubwürdigkeits-Umfragen gewinnt, sagt ja viel über die Arbeit der Politiker aus.“

Kostrzyns Bürgermeister Andrzej Kunt ist zwar auch Politiker, unterstützt Owsiak aber vorbehaltlos: „95 Prozent der Bürger sind für das Festival“, sagt er. Und Warschau ist weit, Deutschland beginnt am anderen Ufer. „Nach Warschau fährt täglich ein einziger Zug, nach Berlin sind es 18.“

Mehr als 30 Bands werden auf dem Gelände auftreten, das sich traditionell in eine Staub- und Schlammhölle verwandelt. Bekannte Namen sind dieses Jahr nicht darunter. Im vergangenen Jahr waren die Toten Hosen als Headliner gewonnen worden, wie alle Bands spielten sie für eine symbolische Gage von 25 Euro pro Person. Voll wird es wahrscheinlich trotzdem. „In Polen gehen die Leute zu einem Festival, egal wer spielt“, sagt Jens Lawrenz von der Seelower Kindervereinigung „Frizz“, die „Woodstock“ auf deutscher Seite mit organisiert. „In Deutschland gibt es noch viele Vorbehalte. Dagegen arbeiten wir an.“

Zum Beispiel mit dem Hinweis, dass „das Bier dort sensationell billig ist“. Härteres gibt es nicht: Das Kostrzyner Woodstock ist drogenfrei. „Wer Drogen mitbringt, dem haue ich persönlich eine runter“, warnt Owsiak. 20.000 Deutsche waren im vergangenen Jahr unter den Besuchern, als erstmals in Deutschland stärker geworben wurde.

Den polnischen Erziehungsminister Roman Giertych von der nationalistischen Liga Polnischer Familien (LPR), der das Schulfach „Patriotische Erziehung“ einführen will, hat Owsiak ebenfalls eingeladen. Es ist ein weiterer Gag. „Für mich sind Patrioten Leute, die auch Menschen aus anderen Ländern lieben“, sagt Owsiak und will auf dem Festival T-Shirts mit dem Aufdruck „Roman, ich bin ein Patriot“ verteilen lassen. „Ihr habt keine Ahnung, was für spannende Zeiten bei uns herrschen“, sagt er den Deutschen grinsend.

28./29. Juli, Kostrzyn. Infos über www.haltestelle-woodstock.de. Anreise mit der Bahn stündlich von Berlin-Lichtenberg