: Des toten Manns Kiste ist leer
Es hätte so schön werden können – doch trotz des Fliegenden Holländers, Unterseemonstern, eines magischen Kompasses, Menschenfressern und eines bezaubernd-tuntigen Johnny Depp: „Fluch der Karibik 2“ ist ein Schiffsuntergang von einem Film
VON TOBIAS RAPP
Eigentlich spricht alles für diesen Film. Es kommen vor: Piraten, Holzbeine, sprechende Papageien. Schwertkämpfe am Strand. Schwertkämpfe in und auf einem sich durch den Urwald drehenden Wasserrad. Abgetrennte Köpfe, die durch den Dschungel hüpfen und ihren Körper suchen. Voodoopriesterinnen, die riesige Gläser mit Menschenaugen in ihren Höhlen aufbewahren. Ein magischer Kompass. Böse Angestellte der Ostindien Kompanie, die nicht nur für die Krone kämpfen, sondern auch zynisch auf eigene Rechnung arbeiten. Seeschlachten mit dicken Kanonen und täuschend echten Schiffsuntergängen. Viele Seeräuber auf eines toten Mannes Kiste. Menschenfressende Barbaren, die ihre Opfer vor dem Mahl zu Schaschlik verarbeiten. Der Fliegende Holländer. Teufelskapitäne mit einem Oktopus als Kopf. Eine Schatztruhe mit einem schlagenden Herzen drin. Diverse interessant verkrüppelte Piraten und Männer aus dem Totenreich. So manchem wachsen sogar Muscheln aus der Wange. Keira Knightley. Eine einsame Insel. Finstere Verliese und üble Erpressungen. Unschuldige werden ausgepeitscht. Seemannsspelunken mit übel beleumundetem Publikum. Eine große Schlägerei in ebenjener Spelunke. Viel Rum. Und geheimnisvolle Schatzkarten.
Das ganz große Piratenfilmspektakel ist eigentlich und wirklich vielversprechend. Aber das Entscheidende sei gleich vorweg festgestellt: „Fluch der Karibik 2“, der Nachfolger des brillanten ersten Teiles, ist ein großer Haufen Schrott. Nicht Schrott im Sinne einer bildungsbürgerlichen Ablehnung des spektakulären, kommerziellen, oberflächlichen, kurz: hollywoodhaften Films. Nein, er ist einfach so Schrott. Ein Schiffsunglück von einem Film.
Eigentlich. Wäre da nicht Johnny Depp als Captain Jack Sparrow. Er wankt und schwankt, hält den Kopf schief, blinzelt, redet irgendwelche Dinge, denen man kaum folgen kann, weil sie in einem merkwürdigen Slang gehalten sind, der Kindersprache mit Seemannsgarn und dem gespreizten Englisch einer imaginären Vergangenheit verbindet. Und er hat eine Menge Rechnungen offen.
Und hier fängt das Problem an. Ja, es gibt eine Handlung: Am Schluss des ersten Teils hatten Will (Orlando Bloom) und Elisabeth (Keira Knightly) Jack Sparrow ja bekanntlich zur Flucht vor der britischen Gerichtsbarkeit verholfen, was sich nun insofern rächt, als sie wegen Beihilfe zur Flucht eines Piraten verhaftet werden. Ausgerechnet an dem Tag, an dem sie heiraten wollten. Sie können dem Galgen nur entkommen, wenn sie Jack seinen magischen Kompass abnehmen, den der lokale Büttel der Krone für seine eigenen finsteren Zwecke zu missbrauchen trachtet. Das ist aber alles nicht so einfach, weil Jack selbst seine Seele dem Seeteufel versprochen hat, wenn er im Gegenzug sein altes Schiff wiederbekommt.
All das bekommt man in den ersten zwanzig Minuten des Films nach und nach mitgeteilt – und wenn es auch bei dieser zwar verworrenen, aber doch überschaubaren Ausgangslage ein Einfaches scheint, den narrativen Bogen zu spannen, so scheitert „Fluch der Karibik 2“ leider von diesem Augenblick an gründlich. Viel wäre gar nicht nötig gewesen, das Spektakel hätte gerne den Rest erledigen dürfen. Doch es gelingt nicht. Und soll es auch nicht – das Ganze ist ja nur die Überleitung zu Teil 3, der zwar schon heruntergekurbelt ist, aber erst kommenden Sommer erscheinen wird.
Nicht, dass die Erwartungen bei dieser Ausgangslage groß gewesen wären – doch die Handlung stolpert dermaßen planlos über die Planken, dass man bald schon abschweift und sich über andere Dinge Gedanken macht. Denn – Geschichte hin, Geschichte her – zumindest auf die visuelle Narration des Films sollte doch Verlass sein: die Bildsprache. Das, warum man eigentlich ins Kino geht. Aber auch das funktioniert überhaupt nicht.
Was auch mit Johnny Depp zu tun hat, dem strahlenden Zentrum des Ganzen, dem man so notgedrungen wie gerne in einem fort hinterherzuschauen angehalten wird. Einen Seeräuber, der so sehr jenseits der klassischen Codes von Männlichkeit operiert und dabei gleichzeitig so umwerfend sexy ist, dürfte es im Hollywoodkino noch nie gegeben haben – zumindest nicht seit Einführung des Hays Codes, mit dem die amerikanische Filmindustrie in den frühen Dreißigern festschrieb, dass Männer fürderhin „Männer“ und Frauen „Frauen“ zu sein haben.
Doch genau dieses männliche wie weibliche Begehren, das Depp mit jedem Schritt an sich zieht, arbeitet gegen den Rest, der um ihn herum passiert. Orlando Bloom soll glaubwürdig verkörpern, dass er quer durch die Karibik segelt, um seine Verlobte aus dem Kerker zu befreien, wo er doch eigentlich nur mit Depp seine Klinge kreuzen möchte? Das glaube, wer will. Keira Knightley soll sich als Matrose verkleiden, um ihrem Verlobten quer durch die Karibik hinterherzureisen und ihm irgendwelche Dokumente zu übergeben? Wo ihre ganze Anwesenheit im Film nur auf den Augenblick hinausläuft, wo sie Johnny Depp an einen Mast kettet und zum ausführlichen Zungenkuss zwingt.
Nur das rosa Riesenmaul der großen Krake, die Jack Sparrow am Ende als Vagina Dentata verspeist, macht tatsächlich auf allen Ebenen Sinn. Schon weil sie den Film nach monströsen 150 Minuten Überlänge endlich beendet.
„Fluch der Karibik 2“. Regie: GoreVerbinsky. Mit Johnny Depp, Keira Knightley, Orlando Bloom, USA 2006,150 Min.