: Der Krieg in den Köpfen
Auch der aktuelle Krieg im Nahen Osten facht wieder den „Kampf der Kulturen“ an. Er lässt sich weder durch Bomben noch Dialog lösen. Sondern durch Glaubwürdigkeit
Es mag zynisch klingen, aber der aktuelle Krieg im Nahen Osten ist nur ein Nebenschauplatz. Auch Irak und Afghanistan sind Nebenschauplätze. Der Krieg findet längst global statt, ein unbenannter „Dritter Weltkrieg“ sozusagen. Die meisten seiner Protagonisten haben (noch) keine Waffen in der Hand. Sie bedienen sich der Worte und Bilder.
Jeder Krieg ist zuerst ein Krieg in den Köpfen. Ein Feind wird ausgemacht. Das Gefühl der Bedrohung kultiviert, Fronten werden geschaffen, Alliierte gesucht. Die verfeindeten Parteien liefern einander die Munition: Der iranische Präsident leugnet den Holocaust. Die USA treten im Irak ihre eigenen Werte mit Füßen und legen sich mit alten Verbündeten wie der Türkei an. Israel weitet seinen berechtigten Kampf gegen die selbsternannten Gotteskrieger der Hisbollah auf ganz Libanon aus und schneidet dem zarten Pflänzchen der libanesischen Demokratie so die Lebensadern durch.
Grob gesehen findet der „Dritte Weltkrieg“ zwischen politisch radikalisierten Muslimen, die sich dem Terror und der Gewalt verschrieben haben, und den westlichen Demokratien statt. Doch nicht die frei vom Volk gewählte Regierung in den palästinensischen Autonomiegebieten steht auf der Seite des Westens, sondern die tyrannischen Regimes in der Region. Demokratie ist keine Verheißung mehr, sondern eine Schreckensformel, ein Vehikel, das die Radikalen an die Macht bringt.
Sicherlich ließe sich diese verfahrene Situation historisch erklären. Schuldige und weniger Schuldige ließen sich benennen. Doch was bringt eine solche Erkenntnis außer Rechthaberei und einer Verhärtung der Fronten? Wissen die Amerikaner etwa nicht, was sie angerichtet haben, als sie in den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts im Iran den gemäßigten Politiker Mossadegh entmachteten und den Schah an die Macht brachten? Sie handeln nicht gerade so, als wüssten sie es.
Wer hat Jitzhak Rabin getötet? War es ein muslimischer Terrorist aus dem Libanon? Es ist eine bekannte Taktik der Extremisten, immer mit dem Finger auf die Extremisten der anderen Seite zu zeigen. Das Ergebnis ist immer Krieg. Die Frage, warum die Extremisten Zulauf haben und sogar Oberhand gewinnen, lässt sich so nicht beantworten.
Ohne Zweifel: Israel ist in Gefahr, gerade weil es inzwischen um mehr geht als „nur“ um seine Existenz. Angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse geht es heute nicht so sehr um eine militärische Niederlage des jüdischen Staates, wohl aber um die prinzipielle Ablehnung seiner Existenz. Diese fatale Idee findet immer mehr Anhänger und destabilisiert auch die despotischen arabischen Regime ringsherum. Was aber träte an deren Stelle? Wahrscheinlich eine noch schrecklichere Herrschaft unter dem Deckmantel des Islams. Einen Vorgeschmack darauf haben die Taliban in Afghanistan geliefert. Die schiitische Variante des muslimischen Extremismus ist weitaus besser aufgestellt, gut ausgestattet mit Petrodollars und dem Unterdrückungsapparat eines gut organisierten Staates. Das ist nicht nur ein Albtraum für den Westen, der seine Interessen in der Region bedroht sieht. Das ist ein Albtraum für alle Menschen, die in Freiheit leben wollen.
Wie aber lässt sich dieser muslimische Extremismus eindämmen? Durch noch mehr Bomben? Durch Dialog? Weder Bomben noch der Dialog taugen viel. Bomben treiben den Extremisten – abgesehen von dem menschlichen Leid, das sie bewirken – immer mehr Anhänger in die Arme. Die Milizen der Hisbollah lassen sich vielleicht entwaffnen. Wie aber entwaffnet man die aufgerüsteten Köpfe von Millionen von Menschen? Der Dialog andererseits ist nichts als eine Illusion, solange er nur zwischen ausgesuchten Persönlichkeiten in gut klimatisierten, abgesperrten Konferenzsälen stattfindet. Wie aber wäre es, ein selbstkritisches Gespräch mit sich selbst zu führen – einen inneren Dialog, eine Debatte innerhalb des eigenen Lagers? Wenn man etwa die US-Regierung zur Rechenschaft ziehen würde für die von ihr begangenen Verbrechen im Irak? Würde eine solche Vorgehensweise die westlichen Werte, die es zu verteidigen gilt, stärken oder schwächen? Wie wäre es, wenn der iranische Präsident für seine unerträgliche Leugnung des Holocausts von muslimischer Geistlichkeit denselben Widerspruch erfahren würde wie vom Westen? Erst dann könnte es wirklich einen Dialog geben, einen Austausch der Ideen und der Werte. Erst dann wäre jenes vom türkischen Ministerpräsidenten Erdogan so oft bemühte und ebenso sehr verbrauchte Bild von der Brücke zwischen den Zivilisationen zutreffend. Doch da dies alles heute nur noch naiv klingt, wird es weder einen Dialog noch eine Brücke geben, sondern die Barbarei des Krieges und die Logik der Zerstörung.
Dieser Krieg tangiert auch Deutschland, und zwar nicht nur aufgrund der deutschen Vergangenheit. Deutschland ist inzwischen Heimat sowohl von Juden als auch von Muslimen. Die Muslime in Deutschland hätten viel von den Juden und ihrem Weg in einen aufgeklärten, modernen Spiritualismus zu lernen. Dass sich deutsche Juden in besonderem Maße mit Israel solidarisieren, ist verständlich. Die Menschen, die aus arabischen Ländern stammen, tun dies mit ihrer alten Heimat. Die deutsche Mehrheitsgesellschaft aber muss erst noch lernen, damit unbefangener umzugehen.
Die Türken stecken dabei in besonderer Weise in der Zwickmühle. Die Zunahme des Antisemitismus in der Türkei ist besorgniserregend. Die traditionell guten Beziehungen zwischen Juden und den Türken, die man nicht zu sehr idealisieren sollte, werden heute in besonderer Weise herausgefordert. Das hat nicht nur mit der israelischen Politik zu tun, sondern mit dem Verhältnis zum Westen allgemein. Das Nachbarland Irak vor Augen, empfinden immer mehr Menschen die Nahostpolitik der USA als eine Bedrohung. Auch Europas gespaltene Zunge gegenüber der Türkei hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Nationalistische und islamistische Kreise nutzen die gegenwärtige Vertrauenskrise, um Stimmung gegen den Westen zu machen. Liberal gesinnte Demokraten dagegen fühlen sich im Stich gelassen.Wenn westliche Demokratien die eigenen Werte verraten, opfern sie auch die Glaubwürdigkeit ihrer Verbündeten in autoritären Staaten.
Die Türkei mit ihren wachsenden Spannungen bildet nur einen weiteren Nebenschauplatz in jenem Kampf der Kulturen, den manche nach Kräften zu befördern versuchen. In letzter Zeit arbeitet auch noch die türkische Regierung – einst mit dem hehren Anspruch angetreten, Islam und Demokratie versöhnen zu wollen – kräftig an ihrer eigenen Schwächung, indem sie sich vor dem Karren nationalistischer Demagogen spannen lässt.
Die muslimische Türkei als säkulare Demokratie aufzubauen, hätte ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Neuordnung im Nahen Osten sein müssen. Doch die Kriegsparteien handeln eben so, wie sie handeln müssen. Krieger bauen nicht auf, sie zerstören. ZAFER SENOCAK