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Archiv-Artikel

„Deutsche Soldaten in Israel nicht denkbar“

Der Völkerrechtler Norman Paech, für die Linkspartei im Bundestag: Vorgehen Israels im Libanon unverhältnismäßig

taz: Herr Paech, soll sich Deutschland an einer internationalen Friedenstruppe im Libanon beteiligen?

Norman Paech: Warum soll eine Friedenstruppe nur im Libanon stationiert werden? Eine Friedenstruppe müsste im Libanon und in Israel stehen. Es genügt nicht, die Hisbollah-Miliz zu kontrollieren. Auch Israel muss am Beschuss des Nachbarlandes und an Panzervorstößen gehindert werden. Deutsche Soldaten in Israel halte ich aber vor dem Hintergrund des Holocausts nicht für denkbar.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sprach in anderem Zusammenhang von einer deutschen „Schicksalsgemeinschaft“, die ein besonderes Verhältnis zu Israel erfordere …

Da ist was dran. Nur interpretiert die deutsche Politik ihre Freundschaftspflicht gegenüber Israel schon seit Jahrzehnten falsch. Gerade wir müssten viel mehr Druck machen, dass Israel die seit 1967 völkerrechtswidrig besetzten Gebiete räumt und einen souveränen palästinensischen Staat ermöglicht. Damit würden sich 80 Prozent der Konflikte in der Region erledigen, und Israels Sicherheit wäre viel besser gewährleistet als heute.

Wie soll Deutschland auf den Konflikt im Libanon reagieren?

Die Bundesregierung muss unmissverständlich klarstellen, dass das Vorgehen Israels die Grenzen der zulässigen Selbstverteidigung überschreitet.

Wenn Israel aus dem Libanon mit Raketen beschossen wird, muss es sich doch wehren können …

Der jüngste Konflikt begann mit der Tötung und Entführung israelischer Soldaten an einer Grenzstation. Das war ohne Zweifel eine sinnlose Provokation und ein völkerrechtswidriges Verbrechen der Hisbollah. Israel hätte also das Recht gehabt, mit kleinen Trupps auf libanesisches Gebiet nachzueilen, um die Täter zu suchen und zu stellen. Israel hat dann aber begonnen, systematisch Ziele im ganzen Libanon zu bombardieren. Erst dann hat die Hisbollah mit dem Abfeuern von Raketen begonnen.

Demnach hätte Israel den Konflikt unzulässig eskaliert, indem gleich der gesamte Libanon angegriffen wurde?

Ja. Zwar muss sich der Libanon das Verhalten der Hisbollah-Miliz tatsächlich zurechnen lassen. Immerhin sitzt die Hisbollah mit gewählten Vertretern im libanesischen Parlament und sogar in der Regierung. Ich habe jedoch große Zweifel, ob ein isolierter Grenzzwischenfall ein umfassendes Selbstverteidigungsrecht auslöst. Außerdem geht Israel derzeit mit einem unzulässigen Vernichtungskrieg gegen Milizen und Bevölkerung im Libanon vor.

Was meinen Sie mit „Vernichtungskrieg“?

Die Zahl der zivilen Todesopfer und Verletzten steigt immer weiter. Die Zerstörung praktisch der gesamten Infrastruktur des Libanons nimmt ungehemmt ihren Lauf. Damit verletzt Israel massiv die Genfer Konventionen von 1949 zum Schutz der Zivilbevölkerung. Solche Angriffe auf Wohnhäuser, Kliniken und Fernsehstationen sind völkerrechtlich völlig inakzeptabel. Das sind schlicht Kriegsverbrechen.

Aber die Hisbollah-Kämpfer verstecken doch sich und ihre Waffen gezielt in zivilen Wohngebieten …

Das mag in Einzelfällen so sein, rechtfertigt aber nicht die Bombardierung von Wohnvierteln.

Nun ist international ein möglicher Waffenstillstand im Gespräch. Sollte der bedingungslos sein?

Im Interesse der Zivilbevölkerung auf beiden Seiten muss der Waffenstillstand bedingungslos sein. Israel hat zumindest eine Pflicht aus der UNO-Charta, mit dem Libanon und der Hisbollah darüber zu verhandeln. Doch an solchen Gesprächen hat Israel wohl kein Interesse. Mir scheint, man hat den Grenzzwischenfall mit Hisbollah zum Anlass genommen, die bereits seit langem geplante Besetzung des Libanon umzusetzen.INTERVIEW: CHRISTIAN RATH