: Holzreste und großer Hunger
Bei manchen Formationen kann man sich darüber streiten, ob sie eine „Berliner“ Band sind oder nicht. Bei Polwechsel steckt die relative Instabilität örtlicher Fixierungen jedoch schon deutlich im Namen. So braucht es nicht weiter zu stören, dass drei der vier beteiligten Musiker Österreicher sind. Sie leben, wenn nicht fest in Berlin, so doch zwischen dieser Stadt und Wien – oder kommen oft zu Besuch.
Polwechsel ist eine der prägenden Gruppen der freien improvisierten Musik. In Berlin etablierte sich diese radikal reduzierte Art der Improvisation unter dem Namen „Echtzeitmusik“, zu der sowohl der Polwechsel-Schlagzeuger Burkhard Beins als auch der aus Wien stammende Bassist Werner Dafeldecker, der schon seit Jahren in Berlin lebt, gerechnet werden. Charakteristisch für diese Musik sind minimalistische Gesten, in denen Rhythmus und Melodie wenig bis gar keinen Platz haben. Stattdessen erkundet man die Grauzone von Klang und Geräusch.
Auf seinem aktuellen Album „Traces of Wood“ wartet das Quartett mit Neuerungen auf. Zum ersten Mal ist jeder einzelne Künstler – neben Dafeldecker und Beins gehören der Schlagzeuger Martin Brandlmayer und der Cellist Michael Moser dazu – mit einem eigenen Stück vertreten. So lassen sich die unterschiedlichen Temperamente erkennen, zudem pflegt man einen offeneren Umgang mit der gemeinsamen musikalischen Sprache: viele individuelle Gesten sind zu hören, Mikro-Melodien und ein sehr bewusster Umgang mit Struktur und Entwicklung. Das Ensemble bewegt sich dabei sehr fein nuanciert zwischen Improvisation und Komposition.
Eine ganz andere Art von Beweglichkeit zeigt das Berliner Duo Hunger. Der Pianist Jörg Hochapfel, unter anderem beschäftigt als Keyboarder des Andromeda Mega Express Orchestra, und Schlagzeuger Christoph Rothmeier machen auf den ersten Blick Popmusik – oder zumindest etwas, das man dafür halten könnte. Die Sprache des Pop nehmen Hunger aber eher zum Anlass für diverse Versuchsreihen nach Regeln, die vermutlich nur sie selbst kennen.
Auf ihrem aktuellen Album führt das zu abstrakten Popstudien mit dadaistischem Einschlag, die durchaus lyrische Momente kennen. Trash wird nicht als Dekor eingesetzt, sondern gehört zu den tragenden Wänden. Am Ende wird dieser stets zu höherem Blödsinn verfeinert. Und das mit sehr erfreulichen Resultaten. TIM CASPAR BOEHME
■ Polwechsel: „Traces of Wood“ (Hat Hut /Harmonia Mundi)
■ Hunger: „^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^“ (www.hungermuzik.bandcamp.com)