piwik no script img

Archiv-Artikel

Wer hat Angst vor dem Gesundheitsfonds?

Proteste der Krankenkassen gegen das neue Modell haben gestern einen ersten Höhepunkt erreicht. Die Gewerkschaft Ver.di sieht 30.000 Arbeitsplätze in Gefahr, da die Beiträge nicht mehr von den Kassen eingezogen werden sollen

BERLIN taz ■ Die Furcht vor dem Unbekannten hat gestern in Berlin und Hamburg jeweils 4.000 Krankenkassenmitarbeiter auf die Straße getrieben. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ruft auch heute wieder zu Protesten gegen den geplanten Gesundheitsfonds auf.

Der Fonds soll ab 2008 die Beiträge von 50 Millionen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenkassen einziehen und verwalten. Ver.di sieht dadurch 30.000 Arbeitsplätze von Mitarbeitern in Gefahr, die gegenwärtig die Sozialversicherungsbeiträge einziehen – für die Krankenversicherung, aber auch für Rente, Pflege und Arbeitslosigkeit.

Die Gewerkschaft gründet ihre Befürchtungen auf das Eckpunktepapier zur Gesundheitsreform, welches die Regierung Anfang des Monats vorgestellt hatte. Darin haben SPD und Union vereinbart, dass die Kassen vom Beitragseinzug entlastet werden und nicht mehr über die Höhe der Beiträge bestimmen. Die entlasteten Kassenmitarbeiter könnten sich um mehr Service für die Versicherten kümmern, hatte das Gesundheitsministerium unter Ulla Schmidt (SPD) vorgeschlagen. Die Mitarbeiter der Krankenkassen verstanden dies als Kündigungsdrohung der Ministerin, die sie jedoch kurz darauf widerrufen hat. „Sie sollen das weiter tun – nur nicht mehr für jede Kasse einzeln, sondern kassenübergreifend für den Fonds“, sagte sie.

Doch da stellen sich die Kassen quer. Sie brauchen ihre Mitarbeiter selbst, um den Zusatzbeitrag einzuziehen. Je nach Kassenlage sollen die Versicherer nämlich noch eine Prämie von ihren Mitgliedern einziehen oder ausschütten. „Das schafft einen riesigen neuen Arbeitsbedarf, da Konten für 50 Millionen Versicherte geführt werden müssen“, sagt der Sprecher des AOK-Bundesverbandes, Udo Barske. In einer Studie der Spitzenverbände der Krankenkassen sind sogar 18.000 zusätzliche Stellen allein dafür veranschlagt. Mit Blockade habe das nichts zu tun, sagte Barske.

Die Kassen liegen mit der Regierung im Clinch. Sie haben für den Herbst eine Informationskampagne angekündigt, die von Regierungsmitarbeitern als Agitation gegen die Gesundheitsreform gewertet wird. Vize-Regierungssprecher Thomas Steg teilte gestern erneut eine Rüge aus: „Das Kabinett war sich einig, dass das, was einige Kassenfunktionäre in den vergangenen Tagen betrieben haben, nicht hinnehmbar ist.“

Ist der Fonds nun Bürokratiemonster oder Arbeitsplatzfresser? Bisher gibt es noch keinen Gesetzentwurf, in dem steht, wie er funktionieren soll. Frühestens in vier Wochen werde ein Entwurf vorliegen, heißt es aus Ministeriumskreisen. Auf einer Ver.di-Anhörung am Dienstag spekulierten Beamte aber schon darüber, dass der Fonds wohl nicht wie geplant zum 1. Januar 2008 in Kraft treten könne.

Die Regierung verspricht sich mehr Transparenz von einer zentralen Inkassostelle. Da alle Kassen einen einheitlichen Beitrag aus dem Gesundheitstopf erhielten, sei für die Versicherten ersichtlich, ob ihre Kasse wirtschaftlich arbeite.

ANNA LEHMANN