Immer mehr mögen die Hisbollah

AUS GAZA SUSANNE KNAUL

Wenn Hasem Hamuda einen Anruf bekommt, dann ertönt die Stimme von Hassan Nasrallah aus seinem Handy. Kurz nach Beginn der israelischen Libanon-Offensive stellte Hasem das Klingelzeichen um. „Israel weiß noch nicht, mit wem es kämpft. Der Tag wird kommen, an dem die Welt den wahren Sieger erkennt“, prophezeit die von dramatischer Musik unterlegte Stimme des Hisbollah-Chefs im Libanon. „Nasrallah kommt für uns Palästinenser gleich nach Gott“, sagt Hasem und zeigt sein Mobiltelefon. Auf dem hat er auch das Foto des neuen Helden gespeichert.

Hasem sitzt in dem modern möblierten Büro der Fatah in Gaza-Stadt. Es beherbergt gleichzeitig den „Häftlings- und Ex-Häftlings-Verband“, die Öffentlichkeitsabteilung der Partei und Teile der „Schabiba“, der Fatah-Jugend. Im Gegensatz zu vielen anderen Verwaltungsgebäuden, in denen es wegen der Stromsperre um die Mittagszeit stickig-heiß ist, verschaffen hier Ventilatoren angenehme Kühle. In der Stadt gibt es seit Israels Luftangriff auf das einzige Elektrizitätswerk im Gaza-Streifen nur noch zehn Stunden am Tag Strom. Das ist immer noch deutlich mehr als in den kleineren Ortschaften und in den Flüchtlingslagern.

„Bei uns wird erst nachmittags abgestellt“, erklärt Hasem. Er ist Fahrer und wartet in dem Büro auf seinen Chef Abdel Chakim Awwad, den Leiter der „Schabiba“. Die große Popularität, die Libanons Hisbollah-Chef Nasrallah in Palästina genießt, erklärt sich mit dem Prinzip: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. „Ganz egal, wer den Israelis in den Hintern tritt“, sagt Chauffeur Hasem. „Auf unsere Sympathie kann er sich verlassen.“

Seit Wochen sind die Palästinenser im Norden des Gaza-Streifens ununterbrochenem Panzerbeschuss aus Israel ausgesetzt. Erst gestern Morgen starben acht Menschen, darunter ein dreijähriger Junge, als die israelische Infanterie erneut bis zum Flüchtlingslager Jabalia, etwa fünf Kilometer vor der Grenze zu Israel, vorrückte. Meist wirft Israels Luftwaffe vor jedem Angriff Flugblätter ab und ruft die Bevölkerung auf, die Region zu verlassen.

Die Popularität Nasrallahs unter den Palästinensern steigt. Zum einen wegen des Zorns auf die israelische Armee, die bei den Gefechten mit der Hisbollah im Südlibanon selbst Verluste einstecken muss. Zum anderen wegen der Hoffnung auf einen umfassenden Gefangenenaustausch zwischen den Israelis und den Palästinensern. Im Tausch für gleich drei – statt nur einem – Soldaten „werden sie einen viel höheren Preis bezahlen“, sagt Hasem über die Israelis.

Vor genau einem Monat hatten Aktivisten der Hamas den israelischen Gefreiten Gilad Schalit entführt. Die Geiselnehmer forderten die Freigabe aller minderjährigen Häftlinge, aller Frauen und überhaupt aller, die länger als 20 Jahre hinter israelischen Gittern sitzen. Als zwei Wochen später die libanesische Hisbollah nach gleichem Muster ebenfalls zwei Soldaten entführte, wuchs die Hoffnung unter den Palästinensern, man könne den Preis noch weiter in die Höhe treiben. „Warum sollten nicht gleich alle auf einmal freikommen“, fragt Hasem fröhlich. Dann wären auch zwei seiner Onkel dabei, die seit vier und sechs Jahren hinter Gittern sitzen. Israel hält bis heute knapp 10.000 Palästinenser in Haft.

Hasems Chef Awwad sieht die Sache mit dem Geiselaustausch nicht ganz so unkompliziert. Zwar hatte auch er zunächst auf einen „Package-Deal“ gehofft – inzwischen aber glaubt Awwad nur noch an eine separate Lösung für die im Gaza-Streifen und im Libanon entführten Soldaten. „Der Konflikt im Libanon ist viel zu komplex“, erklärt er. „Dort haben Iran und Syrien ihre Hände mit im Spiel. Bei uns ist die Lösung einfacher zu erreichen.“

Der etwa 40-jährige Jungpolitiker sitzt vor einer Fototapete, auf der über die komplette Wand gestreckt die Jerusalemer Al-Aksa-Moschee abgebildet ist. Auf dem Schreibtisch steht ein Bild von ihm selbst, deutlich jünger. Auch der Computer-Bildschirm zeigt das Foto des sich seines aparten Äußeren durchaus bewussten Fatah-Jugendführers. „Die Entführung des Soldaten ist der Grund für die israelischen Aggressionen und geht deshalb alle Palästinenser etwas an.“ Schon vor einer Woche hätten sich die fünf größten Palästinenserfraktionen auf ein Verhandlungspapier geeinigt, das über ägyptische Vermittlung an Israel weitergereicht werden soll. Dabei geht es um die sofortige Freilassung des Soldaten im Gegenzug für die Entlassung palästinensischer Häftlinge irgendwann später. Wann, ist unklar. „Was wir brauchen, sind ernsthafte Garantien entweder von Ägypten oder von Frankreich“, erklärt Awwad.

Problematisch an der Lösung ist nicht nur, dass Israel vorläufig, zumindest offiziell, einen Geiseltausch ablehnt. Auch die Hamas hat das Papier noch nicht unterzeichnet. Awwad ist überzeugt: Der Grund dafür sei in Damaskus zu suchen, beim Chef des Hamas-Politbüros, Chaled Meschal: „Meschal gibt das Kommando“, sagt er. Und es sei nicht das erste Mal, dass der Entwicklungen verzögere. „Wir kämpfen seit Jahrzehnten um unsere Unabhängigkeit.“ Awwad schüttelt den Kopf. „Und wir werden es nicht zulassen, uns jetzt zur Marionette eines im Ausland lebenden Spielers machen zu lassen.“

Fast könnte man glauben, der Fatah-Politiker bedauere das Versagen des israelischen Mossad. Der Geheimdienst hatte vor neun Jahren vergeblich versucht, den damals im jordanischen Exil lebenden Hamas-Ideologen mit Hilfe von Gift ins Jenseits zu befördern. „Meschal macht uns allen Probleme“, seufzt Awwad. Begonnen hatte der zunehmend gewalttätige Konflikt zwischen den Palästinenserorganisationen Fatah und Hamas mit der öffentlichen Kritik Meschals an Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der Fatah. Dessen Veto unterlaufend, ordnete Meschal die Formierung einer 3.000 Mann starken Sicherheitstruppe an.

So dauert der innerpalästinensische Machtkampf an – und das ungeachtet der Anstrengungen beider Fraktionen, möglicherweise schon in den kommenden zwei Wochen eine nationale Einheitsregierung zu bilden. Erst am Montagabend starb der Cousin von Mohammed Dahlan, ein Fatah-Mann und ehemals Sicherheitschef im Gaza-Streifen, bei einem Überfall der Hamas. Ein „totaler Kompromiss“, so Awwad, bestehe unter den palästinensischen Fraktionen hingegen über einen sofortigen Waffenstillstand mit Israel. „Der Raketenbeschuss würde sofort eingestellt werden, wenn Israel die Truppen wieder zurückzieht und die Waffen ruhen lässt“, verspricht er. Allerdings müsse das Westjordanland miteinbezogen werden. „Wenn die israelische Armee in Tulkarem Palästinenser massakriert, können wir nicht garantieren, dass es in Gaza keine Reaktionen darauf geben wird.“

Wenige Tage nach der Entführung Schalits zog die israelische Armee zunächst in den südlichen Gaza-Streifen, wo die Geisel vermutet wird. Die 22-jährige IT-Studentin Ala J. aus der Grenzstadt Rafach kann seither nur noch ganze zwei Stunden täglich am Computer arbeiten. Länger gibt es keinen Strom. Auch Frischwasser ist auf wenige Stunden am Tag beschränkt. „Wir füllen, so viel wir können, in Flaschen ab.“ Ala schimpft auf die Verwaltung ihrer Universität, die trotz der erschwerten Bedingungen den Studenten bei den Prüfungsbedingungen nicht entgegenkommt – und auf Hamas-Chef Meschal. „Er sitzt im sicheren Damaskus und gibt Kommandos für Dinge, die wir ausbaden müssen“, sagt sie. Ala fordert ihn auf, „selbst nach Gaza zu kommen, um zu verstehen, wie es sich ohne Wasser und Strom leben lässt“. Im sommerlich-feuchten Klima verderben die Nahrungsmittel innerhalb weniger Stunden. Die Hitze zu Hause sei kaum auszuhalten, sagt sie.

Im Gegensatz zum Hamas-Chef Meschal, der zunehmend an Popularität einbüßt, gilt der libanesische Hisbollah-Führer Nasrallah auch bei den jungen Studentinnen an der Islamischen Universität in Gaza als Held. „Er ist so mutig und setzt sich für uns ein“, schwärmt Ala. Sie ist überzeugt: Die libanesische Hisbollah habe die beiden israelischen Soldaten nur deshalb entführt, um der palästinensischen Sache den Rücken zu stärken.

Das geschäftige Treiben in der Stadt Gaza kann die andauernden Kämpfe wenige Kilometer nördlich fast in Vergessenheit drängen. Über dem Grenzkontrollpunkt Erez weht eine leichte Brise den Gestank von tagealtem Müll heran. Die drei an einer Betonwand angebrachten Holzbänke für wartende Grenzgänger sind leer. Ein Asbestdach bietet Schutz vor der Sonne. „Keine Ahnung. Das kann Stunden dauern“, erklärt ein palästinensischer Grenzbeamter. Der Übergang ist geschlossen.

Irgendwann flattern hunderte Papiere durch die Luft. Völlig geräuschlos hat ein Flieger von Israels Luftwaffe die schriftlichen Warnungen abgeworfen. „Aufgrund des andauernden Terrors wird die Armee den Beschuss intensivieren“, steht auf einem der Flugblätter. „Keine Ahnung“, sagt der Grenzbeamte. „Vielleicht greifen sie in fünf Minuten an, vielleicht erst in fünf Stunden.“

Es dauert eine halbe Stunde bis zum ersten Knall. „Kassam“, lächelt der palästinensische Grenzbeamte. Kurz darauf schlagen die ersten israelischen Panzer-Raketen ein. Es sind immer ein paar Sekunden zwischen dem dumpfen Abschussgeräusch und den Explosionen. „Das war jetzt vielleicht 800 Meter weit weg“, sagt der Grenzbeamte, der noch immer keinerlei Nervosität erkennen lässt.

Dabei sind allein in dieser Woche schon über zehn Menschen gestorben. Am Montag gab es Angriffe auf das Palästinenser-Städtchen Beit Chanun. Dabei starben zwei kleine Kinder und eine 60-jährige Frau. Sie wollte dem Aufruf nicht nachkommen, die Gegend zu räumen. „1949 wird sich nicht wiederholen“, sagen die Leute in Beit Chanun. Damals waren ihre Eltern aus dem heutigen Israel geflohen. Das will keiner mehr. Nur nicht noch einmal fliehen.