: Eine Nacht am Heizungsrohr
Weil er besoffen Rad gefahren ist, verbrachte ein 16-Jähriger eine Nacht im Polizeigewahrsam. Dort soll ihn ein Beamter misshandelt haben. Die Polizei wirft ihm Widerstand und Beleidigung vor
von Eiken Bruhn
Sturzbesoffen war Simon L., als er in der Nacht zum Mittwoch nach Hause radelte. Wären nicht Polizisten auf den 16-Jährigen aufmerksam geworden, wie er „in Schlangenlinien“ – so der Polizeibericht – nach Hause radelte und eine rote Ampel überfuhr – Simon L. hätte seinen Rausch ausgeschlafen und wäre mit einem Kater aufgewacht. So aber verbrachte er die Zeit zwischen ein und sechs Uhr in der Polizeiwache an der Neustadtscontrescarpe – zeitweise an ein Heizungsrohr gefesselt, was ihm Schürfwunden und Blutergüsse an Ellenbogen und Handgelenken bescherte. „Ich habe darum gebeten, dass sie mich in eine Zelle sperren, weil es so weh tat“, sagt Simon L. und zeigt die gebückte Haltung, in der er mit den Händen auf dem Rücken auf einem Stuhl sitzen musste, den Oberkörper nach vorne gebeugt.
Die Polizei bestreitet nicht, dass sie den schmächtigen, nur 1,75 Meter großen Zehntklässler fixierte, und er sich dabei verletzte. Er habe sich „wie wild gebärdet“, zitiert Polizeisprecher Heiner Melloh aus dem Bericht. In eine Zelle habe man ihn bewusst nicht gesperrt. „Da gehören Jugendliche einfach nicht hinein.“ Außerdem hätte man ihn auch dann möglicherweise anketten müssen, da Simon L. nicht zu kontrollieren gewesen sei.
Simon L. verschweigt nicht, dass die Beamten alles andere als Spaß mit ihm hatten. „Ich war bestimmt ätzend und betrunken“, sagt er. Auch, dass er sie beschimpft habe und nach Hause wollte, sei richtig. Doch in einem Punkt unterscheidet sich seine Darstellung gravierend von der im Polizeibericht. Simon L. schildert, dass einer der Polizisten extrem grob mit ihm umgegangen sei. Immer wieder habe der ihn auf den Stuhl geschmissen, als er aufstehen wollte und habe auch sein Gesicht angefasst, seine Backen zusammengedrückt. Am schlimmsten aber sei gewesen, wie der Mann ihn als Wischmob gebraucht habe, sagt Simon L. „Ich hatte auf den Boden gerotzt und dann hat mich der Typ umgerissen und wie einen Feudel über die Spucke gezogen.“
Nach Hause gehen konnte Simon L. erst, als die Polizisten um sechs Uhr morgens bei seinem Vater klingelten. Zuvor hatten sie es erfolglos per Telefon versucht. Ob es schon einen früheren Versuch gegeben habe, Simon L. direkt zu Hause abzuliefern – schließlich wohnt er nur fünf Fußminuten entfernt – kann der Polizeisprecher nicht sagen. Christian L., der Vater des Jungen, war entsetzt, als er seinen Sohn sah. „Es ist eine Sache, dass er sich falsch verhalten hat, dafür soll er seine Strafe bekommen“, sagt er. „Aber muss man einen 16-Jährigen an Heizungsrohre fesseln und so behandeln?“
Für die Polizei stellt sich diese Frage nicht. „Trunkenheit im Straßenverkehr ist eine Straftat“, sagt Sprecher Melloh. Ob es nicht möglich wäre, mit minderjährigen Betrunkenen anders umzugehen, ihnen vielleicht die bedrohliche Situation auf der Wache zu ersparen – und damit eine Eskalation zu verhindern, wie sie zuletzt im Fall von Tim Koehne aufgetreten war, der in der Silvesternacht 1999/2000 im Gewahrsam der Bremer Polizei schwer verletzt worden war? „Dann kommen wir in den Bereich der Sozialarbeit“, sagt Melloh. Und dass sich auch Polizisten wünschen würden, nicht mit 16-Jährigen mit 1,8 Promille im Blut umgehen zu müssen.
Simon L. muss sich jetzt wegen Trunkenheit im Straßenverkehr und Widerstandes gegen die Vollstreckung sowie Beleidigung verantworten. Sein Vater, der wiederum die Polizisten anzeigen will, sieht sich mit einer Anzeige wegen versuchter Körperverletzung gegen seinen Sohn konfrontiert. Einen Kopfstoß soll Christian L. seinem Sohn versetzt haben, weil der nicht brav mit nach Hause ging, sondern um sich schlug. „Wir haben gerangelt“, sagt Christian L. dazu. Und: „Das ist kein Wunder, dass er sich nicht beruhigen konnte. Der Kleine war fertig.“ Ob der Beamte Simon L. tatsächlich so misshandelt hat, wie dieser sagt, sollen interne Ermittlungen ergeben.