: Standhaft und stur
Xanthe Hall engagiert sich für den Frieden. Schon ein Vierteljahrhundert lang. Früher in England, heute in Berlin. Die Abrüstungsexpertin der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg gibt nicht auf
von WALTRAUD SCHWAB
Die Achterbahn, auf der Xanthe Halls Emotionen herumgeschleudert werden, sieht so aus: Auf Krieg folgt Protest folgt Hoffnung folgt Eskalation folgt Diskussion folgt Aufrüstung folgt Protest folgt Warnung folgt Hoffnung. Das ganze Leben der 47-Jährigen geht das schon so. „Libanon, Israel – für mich kommt das nicht überraschend.“
Anfang des Jahres sorgte sie sich, dass jederzeit Bomben fallen könnten auf den Iran. „Alarmismus“, sagten viele damals. Hall interessiert das nicht. Sie weiß es besser: „Ich alarmiere nicht, ich warne.“ Es geht ihr nicht darum, dann gegen den Krieg zu sein, wenn er begonnen hat. Ihr geht es darum, Krieg zu verhindern. Jetzt erst recht, wo er da ist. Sie ist eine von denen, die immer wieder von vorne beginnen. Als lebte sie nach einem Motto von Samuel Beckett: „Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Eine, die sich das zumutet, muss stur sein. Schwierig – „difficult“ – nannte man sie früher.
„You are difficult!“ Britische Kinder aus gutem Hause wie sie, denen dieser Satz entgegengeschleudert wird, spüren das erste „i“ im Wort wie einen Messerstich. Noch heute erinnert sich Xanthe Hall mit einer Mischung aus Stolz und Schauder daran, dass sie zu den Schwierigen zählte. Denn als Tochter eines Universitätsprofessors durfte sie vieles sein, „difficult“ aber auf gar keinen Fall.
Heute glaubt die Jüngste von drei Schwestern, dass sie schwierig war, weil sie Gefühle ansprach. „Ich wollte die Wahrheit auf den Tisch gepackt sehen. Das ist sehr unenglisch. Auf Auseinandersetzungen lässt man sich dort in nüchternem Zustand nicht ein.“ Deshalb lebt die 1959 in Schottland geborene und in Yorkshire aufgewachsene Hall seit zwanzig Jahren lieber in Berlin. „Hier darf man sagen, was man denkt. Hier darf man sogar streiten.“
Streiten, für Hall ist das nicht zuschlagen. Sie meint reden, diskutieren, tausendundeine Nacht. Eine Eskalation muss vermieden werden. „Ich finde, es bringt nichts, wenn man mit Gewalt Gewalt beenden will.“
Die Welt indes ist um einiges komplizierter: Eine universelle Kultur des Diskutierens gibt es nicht, wohl aber eine des Kämpfens. Deshalb steht Hall vor einem Problem. Denn Gewaltfreiheit ist nicht nur die Maxime ihres Denkens, sondern auch die ihrer Arbeit. Sie ist die Abrüstungsexpertin der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW). Allein in Deutschland hat der Verein 7.500 Mitglieder.
Die Aufgabe, der sich die IPPNW-Mitglieder stellen, ist klar: Nie wieder Hiroschima. Allerdings ist die Abkehr von den Atomwaffen nach 1945 keine Selbstverständlichkeit geworden. Im Gegenteil: Vom Kalten Krieg über die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa bis zur Gegenwart wird mit dem Bau und dem Zünden der Bombe gedroht. Dass die Bush-Regierung bis jetzt nicht dementierte, eine Bombardierung iranischer Atomanlagen mit atomaren Waffen in Erwägung zu ziehen, und dass auf der anderen Seite viel darauf hinweist, dass es Ziel der iranischen Regierung ist, die Bombe zu bauen, zeigt, wie aktuell die Gefahr ist.
Xanthe Hall steht schon lange mitten drin in diesem Konflikt, der nun mit der Eskalation an der libanesischen Grenze neuen Zündstoff erhält. Da kommt ihr zu Gute, dass sie mit Protest gegen Atombomben und mit gewaltfreiem Widerstand gegen Krieg seit einem Vierteljahrhundert Erfahrung hat. Sie ist beim Thema geblieben, allen Niederlagen zum Trotz. Denn eine, die stur und schwierig genannt wird, ist aus anderer Perspektive gesehen eben standhaft und sich selbst treu.
1979, es war das Jahr, als Margaret Thatcher an die Regierung kam, begann Hall, sich in England in der Kampagne für atomare Abrüstung (CND) zu engagieren. Bei dieser Organisation wächst die Studentin der Theaterwissenschaften in die Antikriegsarbeit hinein. „Ich habe verstanden, dass mich das Atomkriegsszenario als Horrorvision mein ganzes Leben begleitet.“
Zum wichtigsten Fixpunkt für sie wird in dieser Zeit Greenham Common in Berkshire. Nachdem dort 1981 Mittelstreckenraketen stationiert werden, entschließen sich Frauen, die Militärbasis zu belagern. Sie bleiben jahrelang, campieren unter primitivsten Bedingungen in den Wäldern entlang des Stacheldrahtzauns, der das Gelände begrenzt, blockieren immer wieder die Tore der Militärbasis, durchtrennen Zäune, machen Sitzblockaden vor Raketentransportern.
Das Militärareal auf dem Greenham Common ist riesig. Trotzdem sind die wenigen Dauerbelagererinnen dem Militär ein Dorn im Auge. Sie stören, durch ihre schiere Präsenz. „Ich war oft in Greenham Common“, sagt Hall. „Was ich dort gelernt habe an gewaltfreien Techniken, habe ich weitergegeben.“
Zwei Jahre lang ist sie die Brückenperson zwischen Greenham Common und anderen belagerten Militärbasen in England sowie dem CND. Sie lebt von Sozialhilfe. Am Ende jedoch zerstreitet sie sich mit ihren politischen Gefährten an der Frage, ob man sich bei den Widerstandsformen persönlich so in Gefahr bringen soll, dass Todesopfer nicht ausgeschlossen sind. „Viele Leute, die Stützpunkte belagert haben, fingen an, militärisch zu denken.“ Hall ist dagegen.
In dieser Situation fährt sie nach Berlin. „Ein Farbfilm im Gegensatz zu Birmingham“, sagt sie. „Ich hatte ja noch gar nicht viel vom Leben gehabt.“ Vier Wochen später zieht sie in die Mauerstadt und kämpft sich ohne ein Wort Deutsch durch die Szene. Sie kellnert im Irish Pub, sie unterrichtet Englisch. Und sie bekommt einen Job in der Druckerei, die direkt unter den Büros der IPPNW liegt. Irgendwann braucht man dort ihre Hilfe. So landet sie zum zweiten Mal bei der Friedensbewegung, 14 Jahre ist das her. Vom Zaun um Greenham Common aber, der nach dem Vertrag zur Verschrottung der Mittelstreckenraketen von 1987 und dem Abzug der US-Streitkräfte 1992 obsolet wurde, hat sie sich ein Stück zur Erinnerung mitgenommen und ein Mobile für ihren Sohn daraus gebaut. Klimpernd hängt es in seinem Zimmer im Wind.
Heute steht Xanthe Hall wieder mit dem Rücken zur Wand. Seit Monaten warnt sie davor, dass US-Politiker und Iran auf eine Eskalation hinarbeiten. Wenige wollten es hören. Wenn ihre Gegner sagen, dass die USA nach dem Desaster im Irak nicht auch noch ein zweites Abenteuer mit unwägbarem Ausgang eingehen werden, widerspricht sie. „Alles eine Frage der Perspektive.“ Für die Neokonservativen um Bush sei die Rechnung doch aufgegangen. „Sie haben einen Machtgewinn in der Region und sie haben Zugriff auf das Öl. Das war es, was sie wollten.“
Obwohl Hall die Sackgasse sieht, in der die internationale Politik steckt, hat sie auch Optimistisches zu berichten. „Als ich vor 25 Jahren für den Frieden auf die Straße ging, galt die Einstellung: Krieg ist notwendig. Aber meine Erfahrung zeigt mir, dass mehr Menschen damit nicht mehr einverstanden sind.“
Ihre positive Sicht hat etwas mit ihrer Biografie zu tun. „Ich komme aus einem Land, das zu meinen Lebzeiten oft im Krieg war.“ Dann zählt sie auf: „Falkland, Golfkrieg, Irak, Nordirland. Nordirland durfte man noch nicht einmal Krieg nennen, obwohl es einer war.“
In Deutschland war die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg anders. „Man hat wohl gedacht, dass Krieg nicht mehr passieren kann.“ Dass die Friedensidee jedoch nicht der Wirklichkeit standgehalten hat, hat viele Leute gelähmt, meint Hall. „Ich hab gesehen, wie Pazifismus in Deutschland demontiert wurde.“ Dabei mag sie das Wort Pazifismus selbst nicht richtig. „Pazifismus hört sich passiv an.“ So nach dem Motto, da lassen wir die Finger von. „Ich plädiere stattdessen für aktive Gewaltfreiheit.“ Das passt auch besser zu ihr.
Und jetzt? Hall weiß, wie die Menschen reagieren. „Wenn es Krieg gibt, werden mehr Leute auf die Straße gehen“, hat sie im Frühjahr gesagt, als man ihre Warnungen in den Wind schlug. Das habe sich schon geändert: „Plötzlich sind wir wieder gefragt.“