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Archiv-Artikel

Chinas Polizei: Kritiker Fu selbst schuld

Sieben Wochen nachdem der Staudamm-Aktivist Fu Xiancai nach kritischen Äußerungen in der ARD von mutmaßlichen Sicherheitskräften so schwer zusammengeschlagen wurde, dass er gelähmt blieb, schließt die Polizei Fremdverschulden aus

AUS PEKING JUTTA LIETSCH

Wer hat den chinesischen Bürgerrechtler Fu Xiancai niedergeschlagen, der seit dem 8. Juni gelähmt im Krankenhaus liegt – nachdem er sich im ARD-Fernsehen über Korruption am Drei-Schluchten-Staudamm beklagt hatte? Auf diese Frage haben Chinas Behörden nach siebenwöchigen Untersuchungen gestern eine erstaunliche Antwort gegeben: „Niemand.“ In einem dürren Schreiben der Polizeistation des Ortes Zugui, das der örtliche Ermittler persönlich an Fus Krankenbett brachte, heißt es: „Es waren keinerlei Verletzungen festzustellen, die von einer dritten Person verursacht wurden.“ Die Akte sei damit geschlossen.

Damit hat der Fall des Bauern, der sich seit mehr als zehn Jahren für eine faire Entschädigung der umgesiedelten Anwohner des gigantischen Jangtse-Staudamms einsetzt, eine bizarre Wendung erfahren. Das Ergebnis der Polizei bedeutet im Klartext: Fu soll sich seine schwere Verletzung selbst zugezogen haben.

Die Nachricht über die Attacke auf den 47-Jährigen am 8. Juni hatte auch im Ausland Aufsehen erregt. Fu war damals von Unbekannten auf dem Rückweg von der Polizeistation zusammengeschlagen worden. Die Polizei hatte ihn wegen seines am 19. Mai ausgestrahlten ARD-Interviews vorgeladen. Mit drei gebrochenen Halswirbeln wurde Fu ins Spital gebracht.

NDR-Intendant Jobst Plog und die Bundesregierung baten Chinas Regierung daraufhin um Aufklärung. Deutsche Fernsehzuschauer boten an, für seine Behandlung Geld zu spenden. Nachdem sich das örtliche Krankenhaus zunächst geweigert hatte, Fu ohne finanzielle Kaution zu behandeln, brachten Diplomaten der deutschen Botschaft in Peking das nötige Geld. Ein deutscher Mediziner durfte mit Fus Ärzten sprechen, ihn aber nicht selbst untersuchen. Zweimal wurde Fu operiert. Seine Ärzte glauben, dass er nie wieder laufen kann.

Trotzdem werfen die Behörden Fu nun vor, sich seine Verletzungen selbst zugefügt zu haben. „Drei Stunden waren die Ermittler am Dienstag im Krankenhaus und haben ihn verhört. Sie haben immer wieder erklärt, er sei sicher nur hingefallen“, heißt es im Umkreis des Patienten. Zudem habe man Fus Familie davor gewarnt, das Untersuchungsergebnis der Polizei anzufechten. „Fu ist verzweifelt, aber er hat gesagt, er werde die Entscheidung nicht akzeptieren.“

Als „völlig unglaubwürdig“ bezeichnete in Peking ARD-Korrespondent Jochen Graebert das Ermittlungsergebnis: „Offenbar wollen die örtlichen Behörden die Angelegenheit unter den Teppich kehren.“ Nun sei es Sache der Zentralregierung, dafür zu sorgen, dass der Fall ordentlich untersucht und aufgeklärt werde, forderte Graebert.

Hohe Funktionäre in Peking hatten kürzlich versprochen, eigene Ermittler an den Jangtse zu entsenden. „Aus der Hauptstadt war noch keiner hier, um uns zu fragen, was passiert ist“, heißt es jedoch im Umkreis der Staudamm-Aktivisten. Stattdessen seien Leute aus dem Kreis um Fu in den vergangenen Wochen mehrfach in ihren Dörfern festgesetzt worden – offenbar um zu verhindern, dass sie mit Außenstehenden Kontakt haben. Vor Fus Krankenzimmer waren in den letzten Tagen Beamte postiert. Ausländische Journalisten wurden gewarnt, die Ermittlungen vor Ort „nicht zu stören“.

Das Außenministerium bestätigte am Abend den Polizeibericht: „Es ist offiziell, es stimmt“, sagte ein Beamter. Mehr wollte er nichts sagen.

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