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Archiv-Artikel

An der Wolga bewegt sich etwas

Pavel Miloslavski, geboren 1959 in Gorki (heute: Nischni Nowgorod), ist seit 2011 Direktor des Zentrums der deutschen Kultur und des gemeinnützigen Vereins für Kulturprojekte Rekord in Nischni Nowgorod. Er koordiniert die Kulturprogramme des Goethe-Instituts sowie anderer europäischer Kulturinstitutionen in Nischni Nowgorod.

VON PAVEL MILOSLAVSKI

Die Winterspiele in Sotschi haben die russische Nation gespalten. Große Teile des Mittelstandes und der Intelligenz stehen dem Ereignis negativ gegenüber. Vor diesem Hintergrund bekommen die Spiele die Bedeutung eines „siegreichen Krieges“, der einen Großteil der Bevölkerung von den realen Problemen ablenken und eine mögliche soziale Explosion verhindern soll. Mehr noch: Durch die sportlichen Wettkämpfe sollen die patriotischen Einstellungen in der Gesellschaft verstärkt und das Bild eines „potenziellen Feindes“ propagiert werden, der von den EU-Ländern und den USA aus „versucht, unsere traditionellen Werte zu zerstören“. Im Ergebnis könnte ein Großteil der Bevölkerung blind der These folgen: „Mag es bei uns auch noch so schlecht sein, es ist unser eigenes Schicksal. Und Schwule gibt es bei uns Russen nicht.“

Sotschi stand laut Witali Smirnow, Ehrenpräsident des Russischen NOK und seit 1971 Mitglied des IOC, bereits in den 80er Jahren als Austragungsort für Winterspiele zur Diskussion. Schon damals wurde eingeräumt, dass das Projekt aus finanziellen Gründen nicht realisierbar sei. Die Olympischen Spiele in Sotschi werden nun die teuersten in der olympischen Geschichte.

Das Projekt „Sotschi 2014“ zeigt deutlich die absolute Ineffizienz des russischen Machtsystems. Dieses basiert auf der Angst der Untergebenen und auf Beamtengehorsam. Ich sehe dem Russland „nach Sotschi“ mit großer Sorge entgegen.

Ungeachtet der Situation in Sotschi gilt für mich das Prinzip: Ohne die Entwicklung zivilgesellschaftlicher und kultureller Initiativen, ohne eine Reform und angemessene Finanzierung des Bildungssystems ist die sozialökonomische Entwicklung weder in Russland noch anderswo auf der Welt möglich. Das ist der Motor für mein Tun. Die kulturellen Aktivitäten im Gebiet Nischni Nowgorod basieren vor allem auf privaten Initiativen.

Im Mai 2013 – im Deutschlandjahr – haben wir ein neues Kapitel in unserer Kulturarbeit aufgeschlagen. Mit einem dreitägigen russisch-deutschen Straßenfestival am Wolga-Ufer und auf zwei zentralen Plätzen. Schätzungsweise 50.000 Einwohner und Gäste der Stadt waren von dem Programm begeistert.

Gemeinsam mit der Stadtregierung und dem Goethe-Institut haben wir etwas auf die Beine gestellt, das neue Perspektiven für die Entwicklung der Stadtkultur aufgezeigt hat. Es war wie ein Durchbruch. Plötzlich wollte die Stadtverwaltung mehr Aktionen im öffentlichen Raum. Das wäre früher undenkbar gewesen. Denn der öffentliche Raum gehörte nicht den Menschen, sondern den Behörden.

Es lässt sich etwas bewegen mit Kultur und Bürgerinitiative. Bedauerlich ist nur, dass diese Bereiche des gesellschaftlichen Lebens von den Machthabenden nur akzeptiert werden, wenn sie ihnen dienlich sind. Initiativen, die von der offiziellen Linie abweichen, werden als Widerspruch gegen die „traditionellen russischen Werte“ betrachtet und öffentlich verurteilt.