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Archiv-Artikel

Knockin’ On Heaven’s Door

Evelina Birjukova, Jahrgang 1962, ist Direktorin der Eventagentur Great Event Group, der Agentur für Kulturprojekte Ergo und des Sprachenzentrums Modo Vivere in Perm. Seit 2003 koordiniert sie die Kulturprogramme des Goethe-Instituts und internationale Programme des Ministeriums für Kultur, Jugendpolitik und Medien in der Permer Region.

VON EVELINA BIRJUKOVA

Frauen sprechen nicht gern über Zahlen und Daten. Denn jede runde Zahl, die uns über die Lippen geht, steht in engem Zusammenhang mit der Anzahl der Fältchen, die plötzlich im Gesicht auftauchen. Und doch sind es schon 16 Jahre, die wir auf dem Kulturmarkt der Region Perm sind. Hinter uns liegen so viele Projekte, dass es für einen umfangreichen Nachruf reichte, der alle Anwesenden umgehend in einen Tiefschlaf versetzen würde.

Seit der Gründung eines Büros für Kulturprojekte habe ich keine Minute bereut, dass diese Tätigkeit zu meinem Lebensinhalt geworden ist. Dabei ist mein liebstes Kind entstanden: das Projekt „Earth of Humanity“, das den Rahmen für viele Kreativworkshops in der Region Perm mit Vertretern aus dem Kunstbereich Russlands und der ganzen Welt abgibt. Von den jungen Künstlern bekommt man viel positives Feedback zurück.

Der Aufschwung unserer Tätigkeit ist mit der „Permer Kulturrevolution“ verknüpft – also mit dem von Gouverneur Oleg Tschirkunow und Museumsdirektor Marat Gelman initiierten Versuch, Perm zu einer Kulturstadt zu machen. Darüber wurde viel und kontrovers diskutiert. Wir waren nicht die Anführer der Revolution, wir waren ihre Arbeiter – und das gefiel uns.

Schade, dass ich in der Vergangenheitsform sprechen muss, Tschirkunow trat 2012 zurück, Gelman wurde 2013 entlassen. Aber wir kämpfen weiter für ihre Ideale. „Wir“ – das sind jene, die es geschafft haben, die Region Perm in der Berliner Kulturbrauerei, in Genf und vor Vertretern der Europäischen Union zu präsentieren. Wir haben ein Prinzip: die aktive Liebe, die eine aktive politische Haltung voraussetzt. Und genau darin äußert sich echter Patriotismus.

Ich wünsche mir, dass man genau von dieser Warte aus auf die Idee der Olympischen Spiele schaut. Für mich und meine Familie waren diese immer ein Fest des Sports. Wir hingen stundenlang vor dem Fernseher und fieberten mit unseren Sportlerinnen und Sportlern mit, die jeder in unserer unsportlichen Intelligenzijafamilie beim Namen nennen konnte.

Heute sehe ich mir keine Olympischen Spiele mehr an. In den letzten Jahren ist daraus eine Arena für krankhafte politische Leidenschaften und Ambitionen geworden, bei denen es weder Gewinner noch Verlierer gibt, sondern nur Leidtragende. Dabei ist es doch die Idee der Kultur und Humanität, die die Griechen mit den Spielen nach dem Motto verbanden: „Sport, du bist Frieden!“ Deshalb werde ich nicht einmal die Eröffnung ansehen, denn heute, als Erwachsener, fehlen mir Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit dahinter.

Von Natur aus bin ich Optimistin. Mein Prinzip ist das Unkrautprinzip: Je mehr man mich versucht auszurupfen, desto mehr blühe ich. An meiner Seite habe ich mein Team. Obwohl ich in meinem Leben viel erreicht habe, möchte ich nicht wie Faust sagen: „Verweile doch! Du bist so schön!“

Das Arbeiten ist schwieriger geworden. Ein Teil des Teams der „Permer Kulturrevolution“ ist nach Moskau gegangen. Der Enthusiasmus ist verschwunden, man nimmt uns nicht mehr als Persönlichkeiten mit Format wahr, jetzt fühlt man sich von uns eher provoziert. Aber die Partner und Teilnehmer unserer Konzerte, Projekte, Ausstellungen und Workshops sind noch da, deshalb arbeiten wir weiter.

Russland ist ein großes, multikonfessionelles Land. Die Geschichte meiner Familie ist die Geschichte Russlands. Ich kann nicht anders als an die Zukunft des Landes glauben, in dem meine Kinder und Enkelkinder leben und wo meine Vorfahren begraben liegen. Deshalb bleiben wir in Russland. Und wir hoffen, dass auch in diesem Jahr unsere Kreativworkshops stattfinden werden, denn das Wichtigste ist die Sache, der man dient.

Auf dem letzten Konzert von „Earth of Humanity“ bemerkte niemand, dass die 16 jungen Perkussionistinnen und Perkussionisten gehörlose und hörgeschädigte Kinder waren. Na also, wir haben es geschafft, an die Himmelspforte zu klopfen.