Edler Tropfen unterm Dach

Eine Ausstellung dokumentiert die Symbiose von Architektur und Weinbau. Interessanter als die gezeigten Bauten ist das, was sie vermitteln: den Bedeutungswandel des Begriffes Wein

von MAXIMILIAN PROBST

Was ist Wein? Das Emblem des Rausches. Emblem eines unbändigen, selbstvergessenen, archaischen Lebens. Dionysos. Unter dessen Zauber, schreibt Nietzsche, „schließt sich nicht nur der Bund zwischen Mensch und Mensch wieder zusammen: Auch die entfremdete, feindliche oder unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem Menschen.“ Und Architektur? Bietet das zugehörige Dach über dem Kopf. Ist Emblem von Zivilisation. Struktur, Maß und Linie, die dem Menschen Sicherheit, Dauerhaftigkeit und Individualität versprechen. Apollo fällt Nietzsche dazu ein, die „weisheitsvolle Ruhe des Bildnergottes“, der Lichtgottheit.

Ein Widerstreit, ewig unauflösbar, herrscht zwischen Wein und Architektur. Denn nicht das architektonische Spiel von Licht und Linie gehört zum Wein, sondern der Keller. Kulturgeschichtlich zumindest. Wenn eine Ausstellung sich der „WeinArchitektur“ widmet, ist darum Zweifel angebracht. Entweder müsste man eine rauschhafte Architektur erwarten– eine Architektur, die den Menschen nicht mehr aufnehmen, sondern in der er sich verlieren würde. Architektur als Labyrinth – was aber mehr als unwahrscheinlich ist in unserer pragmatisch-funktionalistischen Zeit.

Oder aber hinter dem Titel verbirgt sich ein neuer Begriff von Wein. Wein nicht als Rausch, sondern als Exempel einer kultiviert-individualistischen Kennerschaft. Was sich in der Sprache schon länger angekündigt hat – Wein schmeckt nicht mehr, sondern „besticht durch seinen frischen ausgeprägten Körper“ oder „sein vielschichtiges Fruchtspiel“. Er ist nicht mehr süffig, sondern hat eine „perfekte Balance mit langem Finishing“ falls man ihn nicht gar einen „blumig-würzigen Sortenvertreter mit pfeffrigem Abgang“ nennen muss.

All dies versucht die Architektur jetzt endgültig zu zementieren: Wein als Marke, die nicht nur individuellen Geschmack verspricht, sondern Zugehörigkeit zu einer ästhetisierten Lebenswelt. Der Winzer mutiert dabei zum Medienstar, zum Titelhelden von Hochglanzmagazinen, in denen er die Philosophie seiner Produktion höchst präzise zu erläutern weiß. „Vom Keller zum Kult“ fasst es der Titel der derzeit in der Speicherstadt präsentierten Schau zusammen. 60 in den letzten zehn Jahren errichtete Weingut-Bauten lassen sich hier studieren. Einige wirken monumental – Glassolitäre, wie man sie hier und dort in den Metropolen findet, andere minimal, avantgardistisch-schlicht und meditativ, den japanischen Bauhaus-Adaptionen eines Tadao Ando verpflichtet.

Gemeinsam ist ihnen der Versuch, mit unverwechselbarer Architektur nicht nur die Einzigartigkeit des Weines zu untermauern, sondern sie auch erlebbar zu machen. Dazu dienen die durchgestylten Degustations- oder Verkostungsräume, die auch mal den szenetauglichen Namen „kostbar“ tragen können. Dort blickt man wechselweise durch in den Boden eingelassene Glasscheiben auf Barriquefässer oder auf Werke abstrakter Kunst an den Wänden. Im Fall des Weinguts Heinrich unterteilen Schiebewände den Raum, die mit Makroaufnahmen blauer Trauben bedruckt sind. Zusammen mit dem kräftig-gelben Sitzmobiliar sollen sie eine „frisch-fruchtige Nuance“ vermitteln.

Immer häufiger gehören auch Seminarräume zu einem prosperierenden Weingut. Und Fremdenzimmer. Das Weingut nimmt damit die Züge einer lokalen Tourismuszentrale an, in der die Ströme regionalen Wissens und universaler Werte – Design, Genuss und Individualität – zusammenlaufen. Das Weingut: ein Kloster. Der Tourist: ein Pilger.

Zusammengestellt hat die Ausstellung das Architekturzentrum Wien. Dass aber fast ausschließlich österreichische Weingüter zu sehen sind, hat auch einen sachlichen Grund. Der verbirgt sich hinter dem Wort des Jahres 1985: Glykol. Ein zweiwertiger Alkohol, dessen Schmelzpunkt zehn bis 15 Grad unter dem von Wasser liegt. Die häufigste Verwendung finden Glykole darum in Frostschutzmitteln. Im Altgriechischen bedeutet glykos süß, und so ist auch der Beigeschmack der Frostschutzmittel. Das brachte einige Winzer in Österreich auf die Idee, mit der gesundheitsschädigenden Chemikalie den Geschmack ihres Weines zu veredeln. Als die Panscher das Frostschutzmittel von der Steuer abzusetzen begannen, wurden die Behörden misstrauisch. Die Untersuchungen endeten im Glykol-Weinskandal, einer der Angeklagten beging Selbstmord und der österreichische Weinexport kam fast vollständig zum Erliegen.

Im Rückblick betrachtet, markiert der Skandal einen Wendepunkt der Weinwirtschaft. Das österreichische Parlament reagierte mit den weltweit strengsten Weingesetzen und -kontrollen. Die Winzer stellten um von Quantität auf Qualität. Modernität, Transparenz und individueller Geschmack lautete fortan die Parole. Ein Neuanfang, der sich auch baulich spiegeln sollte. Heute ist daraus ein zukunftsweisendes Erfolgskonzept geworden. Edle Weine und elegantes Design haben den Skandal fast vergessen lassen.

Nach einem „ehrlichen Tropfen“ wird man sich aber weiterhin sehnen. Erst recht, wenn man mit Nietzsche oder Foucault glaubt, dass sich der Mensch von zivilisatorischen Disziplinierungsmaßnahmen immer lückenloser einmauern lässt.

Info: Die Ausstellung ist bis zum 2.9. am Alten Wandrahm 10 zu sehen. Mo–So 12-20, Fr+SA 12–22 Uhr. www.weidemannarchitekten.de