Kulturarbeit in Zwiebelringen

Im Oktober wird die taz bremen 20 Jahre alt. Doch nicht nur wir haben Geburtstag – auch andere alternative Projekte feiern Jubiläum. Ein Gespräch mit dem Lagerhaus-Gründer Bernd Scheda über die Frage, wie alles begann

1978 steht der Gebäudekomplex der ehemaligen Gema E.G. zwischen der Schildt- und der Weberstraße leer…

Bernd Scheda: … der Nachfolger der Gema, die Coop, war von den Anwohnern aufgrund des Lieferverkehrs rausgeklagt worden. Wir haben der Stadt dann die Entscheidung über die weitere Verwendung der Gebäude vereinfacht, indem wir sie kurzerhand besetzt haben – das war damals so üblich.

Wer war daran beteiligt?

Verschiedene Gruppen. Zunächst die Gruppe um die heutige Aucoop, denen es um die Ausbildung von benachteiligten Jugendlichen ging. Dann eine Gruppe um die Künstlerin Alphea Pouget, die im Kontorhaus mit dem „Bildertheater“ einen alternativen Theaterbetrieb gegründet hat. Im heutigen Lagerhaus waren elf Nutzergruppen aus den Bereichen Umwelt, Kultur und Migration untergekommen.

Was war deren politischer Hintergrund?

Das war ein bunte Mischung. Es gab Strömungen in Richtung DKP. Es gab eine spanische Gruppe – Royalisten – die hatten ihren König an der Wand hängen. Andere haben sich mit Karate für Demos fit gemacht. Manche waren eher gemäßigt.

Was war der gemeinsame Nenner?

Natürlich hatte man gemeinsame Anknüpfungspunkte. Zum Beispiel die Anti-AKW-Bewegung oder der Protest gegen den Abriss von nutzbaren Gebäuden. Im Grunde waren das alles Leute, die ihre eigenen Sachen, aber auch etwas für den Stadtteil machen wollten.

Welche Rolle spielte die taz bremen für Euch?

Wir waren ja früher quasi Nachbarn, zu Beginn war die taz-Redaktion hier auf der Ecke. Wir haben die taz von Anfang an unterstützt und arbeiten seit langem gut zusammen. Leider ist außer dem Urgestein Klaus Wolschner niemand von damals mehr da.

Wie war die Reaktion der Stadt?

In Bremen gab es damals wenig militante Auseinandersetzungen, wie man sie aus Freiburg oder Frankfurt kannte. Wir haben eher eine Verhandlungslinie gefahren, weil wir im Grunde eine denkmalgeschützte Einrichtung vor dem Abriss bewahren wollten. Das Viertel war damals ein wenig Notstandsgebiet mit viel Leerstand und wenig Investitionsbereitschaft – hier musste dringend mehr getan werden. Unter diesen Umständen war die Stadt unserem Konzept gegenüber nicht abgeneigt.

Und wie sah Euer Konzept genau aus?

Sehr pluralistisch. Wir wollten ein Stadtteilzentrum mit verschiedenen Einrichtungen und Beratungsstellen mit einem integrierten Ansatz, also die Verzahnung von Umwelt, Kultur und Migration entgegen der üblichen Senatsaufteilung.

Wie haben die Anwohner reagiert?

Am Anfang gab es einen Riesenaufschrei: Erst die lauten Lieferwagen und jetzt die ganzen Langhaarigen und Ausländer. Am Ostertorsteinweg wurden häufiger mal Scheiben eingeschmissen, daraufhin haben die Geschäftsinhaber eine Bürgerwehr gegründet und sind auf Patrouille gegangen. Die Stimmung war sehr aufgeheizt. Wir haben versucht, deeskalierend zu wirken und nicht zur Hochburg der Militanten zu werden.

Neutralität als Strategie?

Genau. Ich denke, es war eine gute Entscheidung, im Haus Raum für politische Bewegungen zu schaffen, aber selbst parteipolitisch neutral zu bleiben – auch wenn wir gerne in die grüne Ecke gestellt werden. Das haben später auch Senatoren honoriert, mit denen wir in der Anfangszeit nicht zusammengearbeitet hätten.

Die Strategie ist also aufgegangen?

In den ersten Jahren kamen die vom Hochbauamt immer mindestens zu dritt, weil sie einfach Angst hatten. Später haben die uns sogar angerufen, wenn irgendwo ein Haus abgerissen wurde und Bauteile übrig waren. Trotz guter Zusammenarbeit mit der Stadt war eine ständige Ungewissheit da, ob es weitergeht, weil man in jedem Jahr von Kürzungsmaßnahmen bedroht war.

Wie kann man sich Eure Arbeit damals vorstellen?

Wir haben versucht, quasi in Zwiebelringen zu arbeiten. Das heißt, wir haben Sachen im Haus ausprobiert, wir haben Sachen im Stadtteil ausprobiert und wir haben auch Sachen in die ganze Stadt exportiert.

Was zum Beispiel?

Wir haben zum Beispiel im Haus eine Regenwassersammelanlage installiert, mit der wir unsere Toilettenspülung betreiben. Das kann man sich hier angucken, hat also Modellcharakter. Im Viertel gab es lange Zeit Probleme mit Graffiti. Da haben wir einen Wettbewerb unter den Sprayern gemacht. Die Bilder, die rausgekommen sind, haben sich einige Besitzer dann auf ihre Hauswände malen lassen. Ein Beispiel für den dritten Ring wäre die Initiative Stadtauto, in der es um die gemeinsame Nutzung von Autos ging. Das ist vor 15 Jahren hier entstanden, mit zwei gebrauchten Fahrzeugen mit dem Lagerhaus und ist heute eine GmbH, die über 3.000 Mitglieder und 100 Neufahrzeuge hat.

Wie hat sich das Lagerhaus in den 26 Jahren verändert?

Wir sind in die Breite gegangen, indem wir noch einige Organisationen aufgenommen haben: Afrikanische Gruppen, den Verein „Mehr Demokratie“ oder die „Tanzstadt“. Ansonsten haben wir, bis auf eine, alle Initiativen aus der Gründungszeit hier halten können. Viele sagen, dass das Lagerhaus heute nicht mehr so politisch ist. Aber eine Einrichtung kann nur so politisch sein, wie die Bevölkerung einer Stadt. Schon deshalb, weil wir eher auf die politische Nachfrage reagieren, als selbst aktiv zu werden.