„Landis hat es wohl übertrieben“

Der des Dopings überführte Tour-de-France-Gewinner Floyd Landis ist kein Einzelfall. Im Radsport wird flächendeckend gedopt, sagt Sportmediziner Kurt Moosburger – und beileibe nicht nur dort. Denn: „Erwischt werden nur Sportler, die Fehler machen“

interview markus völker

taz: Herr Moosburger, hat Sie die Nachricht von Floyd Landis’ positiver A-Probe überrascht?

Kurt Moosburger: Nein, ich wundere mich nur über die hohen Testosteronwerte. Normalerweise wird dieses Hormon zur Regeneration herangezogen und ein Testosteron-Pflaster geklebt, nicht 24 Stunden lang, sondern nur über die Nacht, um die muskuläre Erholung zu beschleunigen. So wacht der Fahrer morgens mit frischen Beinen auf.

Angeblich wird das Pflaster auf die Hoden geklebt?

Ja, das kann so gemacht werden. Es handelt sich um ein anaboles Hormon, das zum Muskelaufbau benutzt wird. Aber in dem Fall geht es nur um die Regeneration. Und die wird vom Wachstumshormon HGH und eben durch Testosteron beschleunigt. Das sind keine Gifte. Das sind körpereigene, natürliche Stoffe.

Aber die Zuführung von außen ist keineswegs natürlich.

Die ist illegal. Wenn eine medizinische Indikation besteht, also ein Hormonmangel, dann wären diesen Gaben erlaubt. Aber das ist ja im Leistungssport nicht der Fall. Floyd Landis soll allerdings ein Attest zur Einnahme von Cortison gehabt haben – wegen seiner Hüftprobleme. Das kann lokal als Spray oder Salbe angewendet werden. Da Cortison ein Katabolikum ist, also muskelabbauend wirkt, könnte ich mir vorstellen, dass Landis mit Testosteron-Einnahme die Wirkung kompensiert hat. Das wäre eine mögliche Erklärung.

Warum glauben Sie, dass Landis mit Pflastern arbeitete?

Das ist eine Vermutung. Man kann sich das natürlich auch intramuskulär injizieren.

Im DDR-Dopingsystem wurde nicht nur Testostron verabreicht, sondern auch Epistestosteron, damit der bei Kontrollen gemessene Quotient Testosteron/Epitestosteron gleich blieb.

Man kann heutzutage auch das Epitestosteron im Labor nachweisen, deswegen ist diese Methode unwahrscheinlich. Der Quotient lag früher bei einem Verhältnis von 6:1, wurde dann auf 4:1 herunter gesetzt.

Welche Werte weist ein Normalbürger auf?

Er liegt sicherlich unter vier. Landis hat nicht im DDR-Stil gedopt, sondern hat ein Pflaster womöglich nur zu lang draufgelassen.

Er hat nicht aufgepasst.

Er hat es wohl übertrieben, ja.

Und wieder wird bei einem Dopingtest nur der erwischt, der nicht clever gewesen ist.

Erwischt werden nur Sportler, die schlecht aufgeklärt sind, Fehler machen, zu hohe Dosen verwenden oder zu spät die Substanzen absetzen.

Was heißt das für den Profiradsport? Wird flächendeckend gedopt?

Ja. Es wird in der Tat flächendeckend gedopt. Auch weil die Anforderungen unmenschlich hoch sind. Dass die Profis versuchen, sich das Leben ein bisschen einfacher zu machen, ist aus meiner Sicht verständlich. Man müsste ganz schnell die Streckenprofile entschärfen. Und die Öffentlichkeit müsste sich zum Beispiel mit Etappen von 150 bis 160 Kilometern abfinden.

Nach jedem Dopingfall wird über eine Entschärfung diskutiert und anschließend wieder verworfen.

Das mag sein, aber Kritik an den Organisatoren der Rundfahrten muss erlaubt sein. Die Tour wurde im vergangenen Jahr mit einem unvorstellbaren Schnitt von 41 km/h gefahren, heuer mit etwa 40,7, und die Zeitfahren vom Sieger Sergej Gontschar mit einem Schnitt von über 50 km/h. Dabei wäre es doch für den Zuschauer genauso spannend, wenn er die Fahrer mit 20 Sachen den Berg hoch fahren sieht und nicht mit 25. Die Fahrer dopen, weil sie die Chancengleichheit wahren wollen. Sie wissen, dass sie die gleiche Physis wie die Konkurrenz haben. Aber sie müssen noch ein bisschen mehr tun, um ganz vorn zu sein. Noch einmal: Es wird flächendeckend gedopt, weil jeder weiß, der andere macht’s auch.

Wie viel langsamer würde ein ungedopter Radprofi?

Mindestens 5 bis 6 km/h. Pedro Delgado, der ja bekanntermaßen auch nicht ganz sauber war, hat die Tour 1988 mit einem Schnitt von 37 km/h gewonnen. Ein 35er-Schnitt könnte ein Indiz für mehr Ehrlichkeit sein.

Ist die Szene zu säubern?

Man müsste die Öffentlichkeit ganz brutal aufklären. Jeder, der ein bisschen was vom Sport versteht, weiß, dass im 100-Meter-Sprint die zehn Sekunden die absolute Grenze bedeuten. Jeder Sportler, der schneller läuft, muss etwas nehmen. Aber darüber spricht fast niemand. In jedem Spitzensport wird mit unterstützenden Mitteln gearbeitet. In jedem.

Was ist zu tun?

Die Sponsoren und die TV-Stationen müssten sich abwenden. Dann wäre weniger Geld im Spiel. Der Anreiz, zu betrügen, wäre nicht so hoch.

Aber auch da, wo wenig Geld fließt, etwa im Gewichtheben, wird doch massiv gedopt.

Da werden schwere chemische Keulen geschwungen, sicherlich.

Herr Moosburger, Sie haben den unter Dopingverdacht stehenden Radprofi Jörg Jaksche betreut, ist das richtig?

Nicht betreut. Er hat einmal im Jahr ein medizinisches Monitoring bei mir gemacht, inklusive Blutcheck. Leistungsdiagnostisch betreue ich ihn aber nicht.

Er ist mittlerweile abgetaucht, hat ein Rennen abgesagt. Haben Sie Kontakt zu ihm?

Ich habe momentan keinen Kontakt. Ich weiß nur, dass sein Team im spanischen Dopingskandal drinsteckt, mehr nicht.

Haben Sie eigentlich genug vom Radsport und der Tour?

Ich werde sie weiterverfolgen. Ich habe Landis am Sonntag den Erfolg gegönnt. Eine typische amerikanische Heldengeschichte: Landis gewinnt mit kaputter Hüfte, Lance Armstrong nach Hodenkrebserkrankung und Greg LeMond nach Jagdunfall.

Aber die Rührstücke werden immer zu Schurkenstücken.

Das ist Radsport.