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Archiv-Artikel

Das Bier sind wir

Die geplante Schließung der Wolters-Brauerei durch den Weltkonzern InBev führte in Braunschweig zu einem Sturm der Entrüstung. Wolters wurde tatsächlich gerettet – allerdings durch vier ehemalige InBev-Mitarbeiter

von Klaus Irler

Auf der Landkarte eines Global Players ist Braunschweig ein winziger Ort. Aber ein gefügiger Ort, das ist Braunschweig nicht. Ungeahnte Kräfte birgt die Perle Südostniedersachsens, Kräfte, die sich zusammenfinden, wenn es um Identität geht. Vor allem, wenn die bedroht wird von einer Macht, die in ihrem Sektor die ganze Welt beherrscht.

„Bier“ heißt der Sektor in diesem Fall, und die Identität der Braunschweiger heißt „Wolters“. Was man jenseits von Braunschweig kennt ist der Slogan „Wolters oder Wolters nicht“. Das Bier ist fast nur in der Region erhältlich, dort aber umso häufiger.

1627 begann die Partnerschaft zwischen dem Hofbrauhaus Wolters und der Stadt, und es hätte ewig so weitergehen können, wäre da nicht die Weltmacht InBev gewesen: Der belgisch-brasilianische Brauereikonzern ist mit über 200 Marken in über 140 Ländern der Erde vertreten. Man sei führend in den Märkten Amerika, Europa und Asien, steht in der Selbstdarstellung des Konzerns. Seine berühmteste deutsche Marke ist das Bremer Beck’s-Bier. InBev wird es künftig auch in Indien brauen, weil der Biermarkt dort so stark wächst.

InBev hat auch Wolters geschluckt, und zwar 2003. Das passierte wohl eher en passant: Der Weltkonzern kaufte die Gilde-Brauerei in Hannover, die wiederum seit 1985 den Großteil der Wolters-Anteile innehatte. Als InBev den Besitz von Wolters bemerkte, entschieden die Konzernlenker im Dezember 2005, den Standort Braunschweig dichtzumachen. Begründung: Man könne die dortige Brauerei innerhalb des InBev-Produktionsnetzwerkes nicht wirtschaftlich betreiben. Die Marke Wolters sollte dabei aber überleben, InBev hatte vor, das Bier einfach woanders zu brauen. Im Gespräch war die Gilde-Brauerei in Hannover.

Die Braunschweiger ließ dieser Vorgang alles andere als kalt. Erstens sollten 110 Beschäftigte ihren Job verlieren, zweitens sollte ihr Bier auf einmal woanders gebraut werden. Und das drittens ausgerechnet in Hannover! Unabhängig voneinander entstanden zwei „Rettet-Wolters“-Webseiten, es kam zu einer Demonstration auf dem Brauereigelände, es wurden Unterschriften gesammelt und T-Shirts gedruckt, auf denen stand: „Du bist Wolters.“

Zeitgleich tat sich eine Gruppe von vier, teils aktiven, teils ehemaligen InBev-Managern zusammen, um zu versuchen, was in den Webseiten-Foren gefordert wurde: Die Wolters-Brauerei zu zurückkaufen. Im Internet hielten sich die Fans über das Vorhaben auf dem Laufenden und berieten Boykott-Aktionen gegen Kneipen, in denen es kein Wolters gab. Vor allem aber wurden Emotionen ausgetauscht, Wolters-Schwärmereien von früher und Liebesbekundungen wie: „Ich sage JA zu Wolters und NEIN zu Holländischer Pferdepisse!“

Währenddessen verhandelten die vier Manager mit InBev und hatten Erfolg: Der Großkonzern war bereit, die Hofbrauerei Wolters für 8,3 Millionen Euro zu verkaufen. Vergangene Woche stimmte nun die Wolters-Hauptversammlung dem Deal zu, damit ist der Weg frei für die Übernahme am 1. Oktober.

Die Stadt kommt den vier Managern entgegen, indem sie InBev das Brauerei-Grundstück für drei Millionen Euro abkauft und es den neuen Eigentümern gegen eine Erbpacht überlässt, die in der Anfangszeit gestundet wird. Dafür müssen die neuen Eigentümer mindestens 65 der derzeit knapp 100 Vollzeitarbeitsplätze im Hofbrauhaus erhalten. Wobei die neuen Chefs keine unbekannten sind: Wilhelm Koch ist dabei, der bisherige Betriebsleiter. Und Hans-Peter Lehna, der bei Wolters schon mal für 18 Jahre das Marketing gemacht hatte.

„Die Brauerei“, sagt Lehna, „wird so weitergeführt, wie das zur Zeit auch ist.“ Wolters sei mit 15 Prozent Marktanteil Marktführer in der Region, außerdem gebe es „eine starke emotionale Verbundenheit in der Region zu Wolters.“

Tatsächlich: „Packeisschlotzenkarl“ aus einem der Solidaritäts-Foren hat sein erstes Wolters „etwa 1978 getrunken. Mein Vater hat mich damals noch mit ins Stadion in die Südkurve genommen.“ „Janski“ meint: „Als es noch kein Dosenpfand gab und wir immer Wolterdosen an der Kiese gesoffen haben – das war schön.“

Die Biographie ist der eine Grund für die Liebesbekundungen. Der andere ist die Sache mit der Globalisierung: „Sch… Heuschreckenmentalität der InBev“, schreibt ein Frank. Und „Knuddel“ meint: „Deutsche Firmen gehen ins Ausland um billig zu produzieren und die ausländischen Großkonzerne kommen zu uns um nach und nach alles platt zu machen. Schon deshalb rettet Wolters!“

Dass Wolters den Konflikt zwischen regionaler Identität und Globalisierung widerspiegelt, sieht auch Manager Lehna. „Starke regionale Marken haben in Zeiten der Anonymisierung durch die Globalisierung große Chancen“, sagt er. In den Web-Foren wird nun diskutiert, wie es weitergehen soll mit Wolters. „Eventuell kann über die Homepage kommuniziert werden, was die Braunschweiger von Wolters erwarten“, sagt Jan Kramer, einer der Webseiten-Initiatoren. „Traditionell weiterbrauen oder eine Anpassung an den Mainstream mit Fun- und Gold-Bieren – die Meinungen sind da sehr unterschiedlich.“