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Archiv-Artikel

8 Uhr 45, Stille in der Weserstraße

WOHNUNGSSUCHE Vom Kreuzberger Hausprojekt über die Wohngemeinschaft zur eigenen Wohnung in Neukölln: Es ist nicht ganz leicht, die richtige Bleibe zu finden. Eine kleine Berlinkunde in fünf Kapiteln

Die Maklerin kommt. Sie lächelt: „Na, dann kommen sie mal mit hoch“

VON MARGARETE STOKOWSKI

Weil ich so hippiemäßig drauf bin, will ich in ein Hausprojekt ziehen. Gibt ja genug in Berlin. Und weil ich so politisch drauf bin, bin ich auf lauter linken Mail-Verteilern eingetragen. Kaum hatte ich die Idee mit dem Hausprojekt – zack! –, erstes Angebot. Im Bethanien, im Rauch-Haus, suchen sie neue Leute.

Ich wusste gar nicht, dass die so richtig suchen – auf dem quasi freien linken WG-Markt. War doch früher nicht so, oder? Na ja, alles ändert sich. Sogar Rio Reiser ist ja schon tot.

Ich schreibe eine sehr nette Mail, und schon bald kommt eine Antwort. Von Hans-Peter (Name geändert).

Hans-Peter und ich machen uns ein Date zum Kennenlernen. Bin sehr gespannt. Freitagnachmittag stehe ich auf dem Mariannenplatz. Die Sonne scheint, ich suche den richtigen Treppenaufgang, finde auch gleich Hans-Peter. Er fragt mich ein bisschen aus. Was ich so mache, wie ich bisher wohne, wo ich arbeite. Ich erwähne die taz. Ganz schlechter Zug. Die taz sei ja nun wirklich nicht seine Zeitung, sagt Hans-Peter und erzählt von einem Artikel von vor 15 Jahren über eine Demo. Vor 15 Jahren war ich in der dritten Klasse und lernte gerade in Sachkunde die Berliner Bezirksnamen auswendig.

Egal, Hans-Peter erzählt weiter. Er erklärt mir das Vorgehen: wie man ins Rauch-Haus reinkommt. Man kann da nicht einfach einziehen, mit bloßem Nettsein und so. Es gibt ein vierstufiges Bewerbungsverfahren. Erste Stufe: mit einer Person aus dem Haus treffen. Was ich gerade mache. Zweite Stufe: mit den Leuten von einer Etage zum Kochen treffen. Dritte Stufe: eine Woche Probewohnen. Vierte Stufe: drei Monate Probewohnen. Mir wird ganz komisch, aber ich sage trotzdem, dass ich das will.

Am nächsten Tag kommt eine Mail von Hans-Peter. Ich habe nicht mal die erste Stufe bestanden. Vielleicht besser so. Frei nach Rio: Das ist euer Haus – ihr kriegt mich hier nicht rein.

Kommunistinnen

Meine Pläne mit dem Hausprojekt sind gescheitert. Zu spießig. Also nicht ich, sondern die. Planänderung: Jetzt suche ich eine WG. Erster Versuch, Oppelner Straße, Dreier-WG. Das Haus ist eher hässlich, die Wohnung eher nett, die zwei Bewohnerinnen scheinen ganz in Ordnung. Kurze Zimmerbesichtigung, dann beginnt die Fragerunde.

„Was isst du so?“ Äh, kommt drauf an, jedenfalls vegetarisch. „Also so richtig krass vegetarisch?“ Nee, nicht militant. „Wann stehst du so auf?“ Äh, kommt drauf an, zwischen 7 und 14 Uhr. „Und wann gehst du schlafen?“ Na ja, dementsprechend.

Ich finde die Fragen komisch, will auch mal was fragen: „Kocht ihr manchmal zusammen?“ Die beiden gucken dumm. „Wenn es sich ergibt,“ sagt die eine. Stille.

Wie durch ein Wunder kommen wir ins Gespräch – bis es an der Tür klingelt. Die nächste Kandidatin kommt rein. In einer echten Castingshow hat man ja auch nicht ewig Zeit. Das Gespräch wird abgebrochen, ja, ja, wir haben ja unsere Mail-Adressen. Die neu Reingekommene schaut mich an, ich schaue sie an. Es gibt nur Platz für eine, denke ich. Wir lächeln uns an, wie verlogen. Schönen Tag noch.

Eine Woche später bekomme ich eine E-Mail: „Liebe Margarete, wir haben uns gerade eben für jemand anders entschieden. Wir fanden es sehr nett mit dir, aber du arbeitest uns zu viel. Das passt zu unseren aktuellen Lebensrhythmen nicht so gut. Wir hoffen, dir mal wieder über den Weg zu laufen. Liebe Grüße und viel Glück weiterhin …“ Ich arbeite zu viel? Ich schreibe zurück, dass ich die Begründung etwas skurril finde, aber schon okay.

Kurz darauf die Entgegnung: „Liebe Margarete, ja, das ist die Umwertung aller Werte. Wir sind nämlich Pro-Faulheit-Kommunistinnen …“ Verstehe. Die Arbeiterklasse ist nämlich auch nicht mehr, was sie mal war.

Haus aus Gold

Die private WG-Wirtschaft ist schlimmer als alle Börsenhaie auf der Welt zusammen, für mich jedenfalls. Leckt mich doch da, wo nie die Sonne hinscheint, ich suche mir eine eigene Wohnung. Besichtigung in der Schönleinstraße. Ich hetze mich, um pünktlich zu sein, sehe aber schon von Weitem, dass etwa 30 Leute vor dem Haus warten. Wollen die alle in dieselbe Wohnung wie ich?

Ein Radfahrer im Schland-Trikot will durch. Er muss absteigen. Inzwischen sind wir etwa 50 Leute. Er fragt, ob es einen Unfall gab. Nee, Besichtigung. Er lacht: „Ick gloob dit nich!“ Ich überlege zu gehen. Fühle mich wie ein Atom. Eine von vielen, ohne Individualität. Diese ganze Gentrifizierungsscheiße. Ein junger Mann regt sich auf. „Alter, ist die Wohnung aus Gold? Hab ich was überlesen?“

Die Maklerin kommt, sie lächelt. „Na, dann kommen Sie mal mit hoch“, sagt sie in die Menge. 70 Menschen quetschen sich durchs Treppenhaus. Ein Stuhl steht mitten im Flur. Die Möbel sind alle noch drin, ein Pelzmantel hängt an der Garderobe, in der Küche noch schmutziges Geschirr. Die Leute quetschen sich weiter rein. So sieht es dann also auf einer Party mit 70 Leuten aus: zu voll. Im Wohnzimmer steht noch Omas Aschenbecher. Daneben Porzellankätzchen und ein Button: „I love Amerika“ – der muss sehr, sehr alt sein. Ich überlege, ihn mitzunehmen und an ein Museum zu spenden. Eine gerahmte Urkunde hängt an der Wand: „Für die beste Mutti der Welt“.

Eine Frau wird unruhig, schiebt sich vor bis zur Maklerin. „Entschuldigung, aber ist die Dame in der Wohnung verstorben?“, fragt sie. Die Maklerin guckt ein bisschen dumm: „Macht das einen Unterschied?“ Die Frau nickt. Sie wittert schlechtes Karma.“ Äh, nein nein“, sagt die Maklerin, „die ist im Altenheim gestorben.“ Sie reicht der Frau den Bewerbungsbogen.

Meerschweinpipi

Nächster Besichtigungstermin: Weserstraße. Die Maklerin hat uns zu 8 Uhr 45 vor die Haustür diktiert. Was für eine Uhrzeit! Fünf Leute sind gekommen, alle gähnen.

„Hier ist alles frisch saniert“, erklärt die Maklerin und schließt die Tür auf. Wir betreten das Treppenhaus, es riecht wie im Meerschweinchenkäfig. Müllbeutel stehen herum, dazwischen liegt kaputtes Kinderspielzeug. Ich wundere mich, was für Kleinigkeiten mir um diese Uhrzeit schon auffallen. Wie hässlich muss es hier erst sein, wenn ich wach bin!

Wir werden in die Wohnung gelassen, die Maklerin stellt ihre Handtasche auf der Spüle ab. Sie öffnet ein Fenster, es zieht. Eine mittelfrische Brise von Kleintierurin weht durch den Raum. Die Wohnung ist sehr hübsch und wirklich ganz frisch renoviert.

Die Maklerin erklärt, was für Unterlagen sie für die Bewerbung benötigt. Eigentlich das Übliche, aber sie will alles im Original. Auch die Bescheinigung über Mietschuldenfreiheit, auch die Schufa-Auskunft. Die spinnt doch. Wenn alle so wären wie sie, müsste ich für jede Wohnungsbewerbung 18 Euro zahlen wegen der Schufa. Das stand übrigens nicht in der Anzeige. Und dann 500 Euro Provision! Dafür bin ich um halb acht aufgestanden?

Ein junger Mann lässt sich die Vordrucke geben, bedankt sich. „Kein Problem“, sagt die Maklerin, „dafür bin ich ja da.“ Ja, du blöde Kuh, denke ich – leider bist du da. Eine Nichtberlinerin steht auf dem Balkon. „Hübsch ist es hier. Ist die Straße immer so ruhig?“, fragt sie. Die Maklerin nickt. „Ja, immer. Ganz ruhige Straße“, lügt sie. „Ich hab sie noch nie laut erlebt.“

Kein Wunder, denke ich, wenn sie immer zu so verrückten Zeiten hier ist! Natürlich ist die Weserstraße um 9 Uhr morgens ruhig. Unten sind alle Kneipen noch zu. Die Partygänger schlafen noch. Nur ein paar verträumte Hunde kacken auf den Bürgersteig.

Mein Beileid

Wohnungssuche ist anstrengend. Andere sind genauso überfordert wie ich. Nicht andere Bewerber, sondern andere Vermieter und Makler. Ich suche mal wieder nach Angeboten im Internet. Wie hat man das eigentlich früher ohne Internet gemacht? Alles mit Zeitung? Ohne Fotos?

Ich finde ein nettes Angebot. Johanniterstraße, auch in Kreuzberg. Eine hübsche Wohnung, wenn auch ein bisschen teuer. Aber sogar mit Badewanne.

Der Anbieter nennt keinen Termin, vielleicht rufe ich morgen mal an. Muss ich wohl, denn da steht: „Das Wichtigste zuerst: Wenn Sie sich ernsthaft für das Angebot interessieren, rufen Sie uns bitte an. Auf die ebenso dämliche wie unhöfliche, vom Immobilien-Scout vorgegebene Floskel mit der Aufforderung zur Kontaktaufnahme von uns aus, reagieren wir nicht mehr!“ Oha. Dämlich und unhöflich? Was erwarten die denn?

Wenn ich immer alle Leute anrufen muss und dann in nervigen Musikdudelwarteschleifen hänge, bin ich auch unhöflich. Außerdem benutze ich am Telefon auch Floskeln: Guten Tag, mein Name ist Stokowski, ich habe Ihr Angebot im Internet gesehen und hätte gern einen Termin. Glauben die im Ernst, ich überlege mir das jedes Mal neu? Was für hemmungslos naive Gutmenschen haben denn da eine Vermittlungsagentur gegründet?

Das nächstes Angebot. Ossastraße, Bezirk Neukölln. Diesmal rufe ich gleich an. Guten Tag und so weiter. Der Mann am Telefon seufzt: „Ja … sagen wir Mittwoch um zwölf Uhr. Passt Ihnen das?“ Ja, passt mir. „Oder, warten Sie“, unterbricht er mich. „Ich glaube, ich muss die Wohnung 20 Euro teurer anbieten.“

Ich frage, wieso. Er seufzt wieder. „Wissen Sie“, beginnt er langsam. „Es haben sich so viele Menschen für diese Wohnung gemeldet, das hat mich regelrecht erschlagen.“

Und deswegen 20 Euro mehr? Selfmadegentrification? Immer druff, hm? „Ja, verstehe“, sage ich. Mir fällt dazu keine Floskel ein. Mein Beileid, vielleicht.