: Der Duft nach Waschmittel
HAUSBESUCH Sie wollte nicht allein sein. Deshalb zog sie ins Beginenhaus. Bei Elke Vogt-Sauer in Tübingen
VON LENA MÜSSIGMANN (TEXT) UND YVONNE SEIDEL (FOTOS)
Tübingen, eine verkehrsberuhigte Straße am Rande der Altstadt. Im Beginenhaus leben sieben ältere Frauen zusammen, zwei waren nie verheiratet, fünf sind geschieden. Eine von ihnen ist Elke Vogt-Sauer (70). Das Motto der Frauen-WG: „Gemeinsam statt einsam.“
Draußen: Das Haus ist hoch und schmal, mit Giebeln zu allen Seiten. Gerade erst saniert, mit roter Haustür und vielen raumhohen Fenstern.
Drin: Die Holztreppen knarzen bei jedem Tritt. Die gedrechselten Geländerstäbe sind blank poliert („Die haben wir ewig geputzt“). „Das war hier alles verwahrlost“, sagt sie. „Schlimm.“ Jetzt sind seit letzten April die Frauen hier. Und mit ihnen der Duft nach Waschmittel aus dem Keller. Im Erdgeschoss gibt es einen Gemeinschaftsraum mit langer Tafel. Im vierten Stock liegt die Wohnung von Vogt-Sauer, ganz ohne Türen, nicht mal die Dusche hat eine („damit ich mehr Platz habe“). Im Schlafzimmer steht in einer Fensterflucht ihr Schreibtisch. Ohne den wäre sie hier nicht eingezogen. Die Damen im Haus waren zunächst brüskiert, weil sie sich bei der ersten Besichtigung nur mit dem Meterstab in der Hand für den Platz des Möbels interessierte. Grau, aber oho: Sie lässt den Tisch mit leisem Motorsurren nach oben fahren und schwingt sich auf die Tischplatte. „Ich muss mich drauflegen und mein Bein dehnen.“ Jeden Morgen. Das Bett ist zu niedrig dazu. „Das geht nur mit dem Schreibtisch.“ Sie hat eine Hüft-OP hinter sich und Osteoporose. „Als ich mal wieder krank war …“ ist ein Halbsatz, den Vogt-Sauer oft benutzt.
Was macht sie? An der Wand hängen Landschaftsaquarelle. Vogt-Sauer war Lehrerin an einer Grundschule in Bad Kreuznach („Kunst hab ich bevorzugt gegeben, da gab es immer schöne Erfolge“). Auf ihrem Esstisch steht eine kleine Nähmaschine. Nähen, Seidenmalen, Batiken, Filzen. Es gibt keine Handarbeit, die sie noch nicht gemacht hat. Deshalb hat sie vor, ihr Interesse jetzt aufs Reisen zu verlagern. „Barcelona.“ Sie setzt einen verträumten Blick auf. Das war ihr letztes Ziel.
Was denkt sie? Vogt-Sauer würde gern auf ewig die rüstige Rentnerin bleiben. Seit Kurzem hat sie aber starke Schmerzen im Bein und kann schlecht gehen. Das passe nicht zum Beginenhaus („Eigentlich waren fitte Frauen erwünscht“). Dass sie das Konzept durchkreuzt, scheint ihr beinah leidzutun. Die Frage quält sie: Wie wird es ihr gehen? Wie Menschen im Altenheim leben, hat sie bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit in den 90er Jahren gesehen („Das war ein Schock“). Am Kaffeetisch im Beginenhaus wird diskutiert, was passiert, wenn eine aus der Gruppe dement wird. Vogt-Sauer wird immer stiller: „Die Angst steigt jetzt wieder in mir hoch, weil es heißt, man muss wieder ausziehen, wenn man dement wird.“
Biografie: In Pommern, Stettin, geboren, während des Krieges. Dann mit den Eltern nach Berlin, „nichts davon mitgekriegt“. Später, „wie das so ist bei Flüchtlingen“, über Thüringen, DDR, schließlich 50/51 die Flucht in den Westen, über Gelsenkirchen nach Bamberg („Da bin ich den größten Teil meines Lebens gewesen“). Dann die Ehe in Ober-Olm bei Mainz. „Zwischenstation“, sagt Sauer-Vogt dazu. Dort kommen ihre zwei Söhne zur Welt. Sie kneift die Augen zusammen, fasst sich an die Stirn und überlegt. „Das ist so lang her. 79 bis 87 bin ich dort gewesen. Und seit 90 bin ich geschieden.“ Sie musste noch mal ganz neu anfangen („War schon schlimm“). Ein Sohn ist mit ihr nach Bad Kreuznach gezogen. Sie hatte erst mal keine Arbeit („Das war ein Ringen, wieder in den Beruf zu kommen“). Aber sie hat es geschafft. Jetzt lebt sie im Beginenhaus, hat ihr eigenes Haus in Bad Kreuznach vermietet. Ihr „kathegelischer“ Glaube spielt für sie eine Rolle. Im Beginenhaus gibt es aber viele, die nichts mit Gott anfangen können. „Hier geht’s um den Nutzen, nicht um die religiöse Verbundenheit.“
Das letzte Date? Daran kann sich Vogt-Sauer nicht erinnern, sagt sie. „Das ist ewig her. Ich wollte nicht mehr heiraten, ich war bedient.“ Nach der Scheidung war sie geschockt von ihrem eigenen Verhalten in der Beziehung, wie sie erzählt. Gegen eine neue hat sie sich gesträubt. „Vielleicht aus Angst, wieder in alte Muster zu verfallen. Wieder alles machen, was vom Mann so gewünscht wird. Haushalt, Familie, Geschäft. Und sich selbst hintanstellen. Alles aus Liebe, wie man so sagt.“
Einsam? Nein. „Ich bin ja hierhergezogen“, sagt sie.
Der Alltag: Aufstehen? „Spät inzwischen“, sagt sie. „Acht, halb acht.“ Frühstück, Gymnastik, dann Einkaufen, mit dem Rucksack, was sie grad so braucht. Zu Fuß. Ihr Auto hat sie verkauft und bereut es. Tagsüber erledigt sie allerhand für die Hausgemeinschaft. Vogt-Sauer kümmert sich darum, dass die Geburtstage im Haus nicht vergessen werden. Sie ist Herrin über die Waschgeldkasse. Und Aufzugsbeauftragte. Dann ist sie noch für die Buchung der beiden Fremdenzimmer im Beginenhaus zuständig, mit deren Vermietung sich die Hausgemeinschaft zum Teil finanziert. Anfragen per Telefon sind ihr am liebsten, mit E-Mails kommt sie nicht gut klar. „Anfangs war ich so entnervt, dass ich wutentbrannt zum Tourismusverein gegangen bin und gesagt habe, dass ich nur noch telefonische Anfragen will.“ Eine ehemalige Sekretärin gibt ihr jetzt einmal wöchentlich Computernachhilfe. Wenn die Arbeit erledigt ist, geht sie zum Literaturkreis, zum Spanisch- und zum Englischkurs. Die Reisen! Freitags ist dann noch Singkreis. Über eine Kursfreundin hat sie die „Altstadtmädels“ kennengelernt, eine gesellige Runde. Vogt-Sauer lacht. Die gefallen ihr.
Wie finden Sie Merkel? „Ich war immer der Ansicht, Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Anfangs war sie auch von Merkel nicht begeistert. Sie vermisste Ausstrahlung. „Inzwischen bewundere ich, wie ruhig und sachlich sie argumentiert, das könnt ich nie.“ Merkel sei solide, „keine Skandale wie bei Wulff“. Und: „Ich find’s gut, dass es auch mal ’ne Frau ist.“
Wann sind Sie glücklich?
„Wenn ich keine Schmerzen habe. Dann kann ich alles machen, was ich möchte. Reisen, Sprachen lernen, rausgehen.“ Ihr nächstes Ziel: Andalusien.
■ Nächstes Mal treffen wir Silvia Fauck in Berlin. Sie wollen auch einmal besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de