Berauschende Leidenschaften

GRUSEL Der Schauspieler Ulrich Tukur hat eine Novelle geschrieben: „Die Spieluhr“. In ihr erzählt er sehr hübsch eine bezaubernde Spukgeschichte

Nachdem der Schauspieler Ulrich Tukur bereits 2007 seinen hübschen Erzählband „Die Seerose im Speisesaal“ veröffentlicht hat, legt er nun mit seiner Novelle „Die Spieluhr“ nach. Tukur erzählt darin von Dreharbeiten zu dem Film „Séraphine“ in Südfrankreich. Diese Dreharbeiten gab es tatsächlich, der Film kam 2008 in die Kinos, Tukur spielte den Kunstsammler Wilhelm Uhde. Und damit steht die Geschichte zunächst auf einer scheinbar soliden Grundlage. Aber diese Grundlage erweist sich bald als trügerisch, im Laufe der Erzählung löst sie sich immer weiter auf.

Dieses Schmuckstück von einem kleinen Roman führt den Leser in eine surreale Welt zwischen Traum und Fantasie. Es geht um die Geschichte der tiefgläubigen Malerin Séraphine de Senlis und ihres Förderers Wilhelm Uhde. Das Buch ist aber noch mehr das fantastische Märchen einer düsteren und unheilvollen Leidenschaft zwischen einer schon lang verstorbenen Cembalovirtuosin von berauschender Schönheit und denen, die ihr noch lange nach ihrem Tod verfallen müssen.

Ein Regieassistent verschwindet, taucht nach Tagen wieder auf und berichtet wahnhaft von den unglaublichen Erlebnissen, die er im Innern eines geheimnisvollen Schlosses erfahren hat. So will er an diesem unheimlichen Ort mit seinen sehr seltsamen Bewohnern in gigantische Gemälde eingesogen worden sein, in deren Szenerien er der schon erwähnten Cembalospielerin begegnet: „Plötzlich fing das Gemälde an zu leuchten, ja es glühte geradezu, und mir schien, als löse sich die Frauengestalt von der Leinwand und schwebe wie ein geheimnisvolles Hologramm in den Raum“, schwärmt der Regieassistent dem Ich-Erzähler vor.

Und weiter: „Ich kann Dir die Schönheit ihrer Haltung und ihres Gesichtes nicht mit Worten beschreiben, ich hätte sterben können vor Glück, ich fühlte mich emporgehoben in Sphären, die ich nie zuvor gekannt, ja nicht einmal erahnt hatte. Dieses Glück besaß nichts von dem, was jeder von uns einmal erlebt, wenn er sich einem anderen Menschen hingibt.“

Eine solch ekstatische Sprache, die ungebrochen leicht als etwas zu kitschig empfunden werden könnte, gerät bei Tukur aber nie in die Gefahr, schnulzig zu werden. Die bestrickende tote Musikerin soll sich später als böse Zauberin erweisen, die durchaus in der Lage ist, beispielsweise eine unliebsame Konkurrentin bis in alle Ewigkeit als Miniaturballerina auf eine Spieluhr zu bannen.

Tukur als Protagonist und Ich-Erzähler folgt den Spuren des jungen Mannes, der schließlich endgültig verschwindet. Er gerät auch in die Mauern des gruseligen Schlosses und weiß bald selbst nicht mehr, ob das Geschehen, welches nicht nur verschiedenen Realitätsebenen, sondern auch mehrere Jahrhunderte miteinander verwebt, noch realistisch zu erklären ist oder ob auch er bereits einem Wahn verfallen ist.

Angenehm beunruhigend

Der Roman bezaubert durch einen steten Wechsel zwischen verschiedenen, miteinander verschlungenen Welten. Er ist durchweg spannend, auf angenehmste Art beunruhigend und erinnert stark an die Schauergeschichten von E. T. A. Hoffmann und Edgar Allen Poe, manchmal sogar, in besonders schwärmerischen Passagen des jungen Regieassistenten, an Christoph Martin Wieland. Tukurs Sprache wirkt dadurch zwar oft ein wenig aus der Zeit gefallen, aber niemals verstaubt.

„Die Spieluhr“ ist eine bezaubernd spukhafte Geschichte in einem wunderschönen stoffbezogenen Hardcover-Einband mit Golddruck, der hier auch Erwähnung finden soll. Ist der Einband doch laut Tukurs eigener Aussage als „letzter analoger Paukenschlag vor dem Gang der Menschheit ins elektronische Buch“ gedacht. CORINNA STEGEMANN

Ulrich Tukur: „Die Spieluhr“. Ullstein Verlag, Berlin 2013. 156 Seiten, 18 Euro