Ein urinierender Odonkor

Mit bis zu 500 Euro ködert die „Bild“ ihre Leser, private Handy-Schnappschüsse von Prominenten, Unfällen und anderen Katastrophen einzusenden – und sich damit womöglich strafbar zu machen

VON MICHAEL AUST

Das verschwommene Foto, das die Bild-Zeitung vor zwei Wochen druckte, zeigt einen dunkelhäutigen Mann, der neben einem Auto steht und an seiner Hose nestelt. Ob er wohl Blumen gieße, spekulierte Bild mit biederem Augenzwinkern und klärte die Leser im Artikel darüber auf, dass es sich bei dem Abgebildeten um den Fußballer David Odonkor handele, der „eine Auszeit“ nehme.

Das Foto des urinierenden Odonkor hat kein Bild-Reporter geschossen. Ein Leser hatte den Fußballer zufällig am Straßenrand entdeckt, sein Fotohandy betätigt und das Foto an Bild geschickt. Aufgestachelt dazu hatte ihn das Boulevardblatt, das seine Millionen-Leserschaft seit Wochen auffordert, sich als „Leser-Reporter“ zu verdingen: „Hat ein Prominenter in Ihrer Gegenwart in der Nase gebohrt?“, heißt es in einer Werbung für die Aktion. Ihre Schnappschüsse können Bild-Leser per MMS oder E-Mail an die Zeitung schicken, bei Veröffentlichung gibt’s 500 Euro Honorar.

Die Idee, billige „Leser-Reporter“ einzusetzen, stammt aus Norwegen. Dort ruft die größte Boulevardzeitung des Landes, die zum Schibsted-Verlag gehörende VG, Leser seit Jahren dazu auf, ihr Fotos von Promibrüsten, Unfällen und anderen Katastrophen zu schicken. Und ist damit oft schneller als die Konkurrenz: Nach dem Terroranschlag in London hatte VG noch vor den Agenturen ein mit dem Handy geschossenes Leserfoto aus der U-Bahn auf seiner Homepage.

Einen solchen Foto-Scoop hat die Bild-Aktion noch nicht gelandet. Hier sehen Bild-Voyeure morgens, was Bild-Voyeuren tags zuvor vor die Linse kommt: Joschka Fischer, wie er „in einer feinen Konditorei lecker einkaufen geht“. Ex-Boxer Graciano Rocchigiani, der im Freibad von Moers ein Nickerchen hält. Oder Lukas Podolski in „knackiger Badehose“ am Strand von Mallorca.

Doch nicht nur Promis, auch normale Menschen hat es in den letzten Wochen via „Leser-Reporter“ in die Bild verschlagen: So jenen beleibten Radfahrer aus Papenburg, dessen Hose beim Strampeln – wie lustig – knapp unter den Po gerutscht war. Oder die beiden Berliner Unfallopfer, die schwer verletzt und gut zu erkennen auf der Straße liegen, während Feuerwehrleute sich um sie kümmern. Dem „Leser-Reporter“ Robert S. brachte sein Farbfoto immerhin 500 Euro ein.

Medienrechtlich ungeschulte „Leser-Reporter“ könnten diese von Bild gedruckten Schnappschüsse teuer zu stehen kommen. Denn wenn ein Bild ohne Einwilligung des Abgebildeten gedruckt wurde, könnten sich Fotograf und verantwortlicher Redakteur gleichermaßen strafbar gemacht haben.

„Grundsätzlich gilt, dass der Betroffene bei der Veröffentlichung einer Aufnahme eingewilligt haben müssen“, sagt die Hamburger Medienrechtsexpertin Katja Kassing.

Zwar gelte dieser Schutz bei prominenten „Personen der Zeitgeschichte“ nicht in gleichem Maße, doch Fotos aus dem „höchstpersönlichen Lebensbereich“ – etwa eine versehentlich entblößte Brust – bedürfen auch bei Promis der Einwilligung. „Auch ein Leser-Reporter kann sich strafbar machen, wenn die Voraussetzungen des Paragrafen 201 a des Kunsturhebergesetzes erfüllt sind“, sagt Kassing. Dieser Paragraf schützt die Intimsphäre des Abgebildeten, also die Bereiche Sexualität und Nacktheit, Krankheit und Tod.

Inzwischen regt sich Widerstand gegen die privaten Paparazzi. In Norwegen beschweren sich Rettungsdienste, die von „Leser-Reportern“ der VG bei der Arbeit behindert wurden. Die beiden Fußballprofis Odonkor und Podolski forderten von Bild eine Unterlassenserklärung für die besagten Leserfotos. Ihr Anwalt Christian Schertz fühlte sich gar an Orwells „1984“ erinnert: Der Bild-Aufruf führe dazu, „dass ganz Deutschland versucht, Abschüsse aus dem Privatleben herzustellen“, sagte er dem Tagesspiegel. Die Unterlassungserklärung im Fall Odonkor hat das Blatt inzwischen akzeptiert.