: Selbstbewusste Bescheidenheit
Die Außenpolitik der großen Koalition glänzt nicht durch Machtworte und große Gesten. Dennoch ist sie besser, als sie angesichts der gegenwärtigen Nahostkrise erscheint
Der Unmut wird lauter. Kritiker werfen der Bundesregierung vor, kein Konzept zur Lösung der Nahostkrise zu haben und nicht laut genug auf einen Waffenstillstand zu dringen. Anders ausgedrückt: Es soll endlich ein Machtwort her. Eine leise Sehnsucht nach Gerhard Schröder schwebt durch die Atmosphäre. Basta.
Der Wunsch nach Tatkraft ist verständlich. Ohnmacht lässt sich angesichts der Bilder aus der Krisenregion kaum ertragen. Aber um Druck ausüben zu können, muss zumindest eine Voraussetzung erfüllt sein: Man braucht eine Handlungsoption.
Beim Irakkrieg hatte die rot-grüne Koalition die Möglichkeit, sich daran nicht zu beteiligen. Diese Entscheidung wurde, wie wir heute wissen, weniger konsequent umgesetzt, als man die Öffentlichkeit glauben machte. Aber es wurde immerhin eine Entscheidung getroffen.
Auch die Teilnahme am Kosovokrieg und am Feldzug gegen Afghanistan waren keine Folge von Naturgewalten, sondern von bewussten Entscheidungen, die auch anders hätten getroffen werden können. Aber nichts von dem, was die Bundesregierung jetzt im Nahen Osten tun könnte, würde den Krieg beenden.
Gewiss: Man sollte alle Waffenlieferungen erneut daraufhin überprüfen, ob sie gesetzeskonform sind – und dann eventuell aussetzen. Das wäre zumindest ein Symbol. Aber dennoch kleine Münze angesichts der Stärke der mittelbar und unmittelbar am Konflikt beteiligten Parteien.
Diese Erkenntnis ist schwer auszuhalten. Wohl auch deshalb werden Rufe nach einem Vermittler wie Joschka Fischer laut – ganz so, als ob es nicht um gegensätzliche Interessen gehe, sondern um eine besondere Form der Familientherapie. Und wohl auch deshalb wird die Ersatzdebatte über eine mögliche deutsche Beteiligung an einer möglichen Friedenstruppe so engagiert geführt. Da gibt es doch wenigstens etwas zu entscheiden – auch wenn es vorläufig ein Sandkastenspiel ist.
Aber könnte Angela Merkel nicht wenigstens gegenüber dem US-Präsidenten strenger auftreten? Ihn öffentlich rügen? Könnte sie. Aber was soll das bringen, außer vielleicht einigem Applaus zu Hause? Sie hat im Blick auf den Nahen Osten kein Druckmittel an der Hand – jedenfalls keines, das sofortige Wirkung verspricht.
Dies ist die Stunde der Diplomaten, nicht der markigen Worte. Dem Temperament der Kanzlerin und ihres Außenministers dürfte das entgegenkommen. Was immer Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier trennt: Gemeinsam dürfte beiden eine grundsätzliche Skepsis gegenüber militärgestützten, dramatischen Lösungsversuchen sein. Die Kammermusik liegt ihnen mehr als das große Orchester.
Diese Haltung speist sich aus biografischen Erfahrungen. Der westdeutsche Beamte – Jahrgang 1956 – ist zu spät geboren, um wie viele 68er an den Erfolg radikalen Wirkens innerhalb demokratischer Strukturen glauben zu können. Das Leben der ostdeutschen Wissenschaftlerin – Jahrgang 1954 – ist durch einen Umsturz verändert worden, bei dem kein einziger Schuss gefallen ist. Die großen Kanonen des Militärs bedeuteten beiden stets eher Bedrohung als Hoffnung auf Sieg. Oder wenigstens auf Sicherheit. Das sind keine ganz schlechten Voraussetzungen für eine friedensorientierte Außenpolitik der großen Koalition. Die vermutlich eher unauffällig sein dürfte. Weshalb nicht anzunehmen ist, dass ihr die Nachwelt dafür Kränze flechten wird.
Nach dem Ende der bipolaren Welt ist die Sehnsucht nach eindeutigen Antworten auf komplizierte Fragen noch gewachsen. Dabei ist der Spielraum eher kleiner geworden: Früher konnte eine Regierung noch innerhalb des eigenen Bündnisses – oder wie Schweden und Indien als Blockfreie – die Grenzen des Möglichen ausloten. Inzwischen ist jede Mittelmacht in so viele Organisationen und Strukturen eingebunden, dass die Frage nach einer grundsätzlichen Weichenstellung gar nicht erst entsteht. Zwischen Nato, EU, UNO und Welthandelsorganisation gibt es sehr wenig Platz für Bewegung. Auch deshalb fiel es Joschka Fischer seinerzeit so leicht, die Kontinuität der deutschen Außenpolitik zu versprechen.
Ein Versprechen, das Frank-Walter Steinmeier erneuert hat. Keine Oppositionspartei – außer vielleicht der Linkspartei – zeigt Neigung, die großen Bündnisse in Frage zu stellen. Und ob die Linkspartei im Falle einer Regierungsbeteiligung tatsächlich dabei bliebe: das wäre abzuwarten.
Ist es also in außenpolitischer Hinsicht egal, welches Bündnis regiert? Nein. Die große Koalition hat auf diesem Feld bisher keine dramatischen Fehler begangen, statt dessen ziemlich viel richtig gemacht. Sie hat etwa versucht, eine Eskalation im Irankonflikt zu vermeiden. Dass dies möglicherweise erfolglos sein wird, mindert den Wert der Anstrengungen nicht.
Die SPD erinnert sich derzeit sogar daran, dass sie einmal „Friedenspartei“ sein wollte. Sie widersteht ziemlich tapfer allen Versuchen des Koalitionspartners, neue sicherheitspolitische Richtlinien so zu formulieren, dass auch der Kampf um Öl einen Krieg legitimiert. Kürzlich hat sie auf einer Parteiveranstaltung, auf der auch Steinmeier sprach, daran erinnert, dass der Atomwaffensperrvertrag die Abrüstung der Atommächte vorsieht. Schlagzeilen macht derlei nicht; dafür braucht es Machtworte. Oder einen Amtsantritt. Die Lobeshymnen, die auf Angela Merkel nach ihren ersten außenpolitischen Auftritten gesungen wurden, wirkten ein wenig hysterisch. Man konnte den Eindruck gewinnen, als ob Leitartikler bereits positiv überrascht waren, dass sie auf roten Teppichen nicht stolperte.
Inzwischen ist es nicht einmal mehr eine Sensation, wenn die Kanzlerin gegenüber China, Russland und auch den USA die Menschenrechte anspricht. Erfreulich ist es dennoch. Die Hinweise werden – zu Recht und je nachdem – als sanfte Drohung oder als Versprechen mit Blick auf Wirtschaftsbeziehungen und gemeinsames Abstimmungsverhalten oder internationale Initiativen verstanden. Nichts Neues unter der Sonne: Genau so hat die Ostpolitik über Jahrzehnte hinweg funktioniert.
Mit dem – ebenfalls ziemlich hysterisch anmutenden – Wunsch, die große Koalition in Berlin möge die Welt oder eben wenigstens den Nahen Osten doch bitte schön endlich in Ordnung bringen, hat diese Politik der kleinen Schritte nichts zu tun. Dennoch wird Deutschland bei Krisen aller Art gern darum gebeten, als Vermittler aufzutreten. Eine Mittelmacht, die nicht über eigene Atomwaffen verfügt und keine individuellen strategischen Interessen verfolgt, verfügt eben über ein ziemlich hohes Maß an Glaubwürdigkeit. Das beinhaltet Chancen, die es zu nutzen gilt – verbunden mit der dringenden Mahnung, sich vor Selbstüberschätzung zu hüten.
Es gibt Anzeichen, dass der großen Koalition beides gelingen könnte. Das würde nicht die Rettung der Welt bedeuten. Aber die „selbstbewusste Bescheidenheit“, die Steinmeier für Deutschland reklamiert, könnte wenigstens manchmal dazu beitragen, eine explosive Lage zu entspannen. Das wäre schon eine ganze Menge. BETTINA GAUS