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Archiv-Artikel

Mittwoch, 5. 2. 2014, Bangui

ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK Die neue Präsidentin soll das Land befrieden, doch ihre Soldaten begehen einen öffentlichen Lynchmord

VON DOMINIC JOHNSON

Es dauerte nur wenige Minuten, berichten Augenzeugen; aber die Szene, die sich am Mittwoch, den 5. Februar mitten in Bangui abspielte, wird lange nachwirken. Soldaten der zentralafrikanischen Regierungsarmee lynchen einen mutmaßlichen muslimischen Rebellen, und es ist ihnen völlig egal, dass die Weltöffentlichkeit zuschaut. Es hat Tausende brutaler Morde in der Zentralafrikanischen Republik gegeben. Aber keiner ist so gut dokumentiert, und keiner wurde so schamlos von einer angeblichen Ordnungsmacht begangen.

Wie kam es zu der Situation? Alle hohen Amts- und Würdenträger waren an diesem Tag in die einstige Eliteakademie „École Nationale d’Administration et de Magistrature“ (Enam) geladen. Die neue Staatspräsidentin Catherine Samba-Panza sprach vor Tausenden Soldaten der Regierungsarmee Faca (Forces Armées Centrafricaines). Erst am Dienstag hatte sie einen neuen Generalstabschef ernannt, jetzt sprach sie vor der Truppe, die sich nach den Wirren der Rebellenherrschaft gerade rekonstituiert. Sie sei „stolz“ auf die Soldaten, sagte sie, versprach Sold und Ausrüstung und richtete ernste Warnungen an „Unruhestifter“.

4.000 bis 5.000 Soldaten hörten zu, auf der Wiese des Enam-Geländes. Die Stimmung war gut: Auf einem Video ist Gelächter zu hören und eine offenbar betrunkene Soldatin zu sehen. Direkt hinter der Präsidentin stand ihr Bodyguard, ein ruandischer Soldat der afrikanischen Eingreiftruppe „Misca“. Auch der französische Kommandant war da. „Dies ist ein wichtiger Tag für Zentralafrika“, erklärte er.

Nach vollendeter Rede schritt Samba-Panza den roten Teppich hinab und verschwand in ihrem Auto, einem dunkelblauen Geländewagen mit getönten Scheiben. Die Soldaten zerstreuten sich, in gelöster Atmosphäre. „Jetzt sind wir motiviert“, sagte einer in einem Interview.

Was genau geschah? Danach geht alles sehr schnell. Es erhebt sich Geschrei: Eine Gruppe von etwa 50 Soldaten umringt einen jungen Mann in Zivil, wirft ihn zu Boden, tritt ihn mit Füßen. Blutüberströmt liegt er im Gras, als die Fotografen herbeieilen.

Das Gewaltopfer wird vom Rasen in Richtung Straße gezerrt, im Laufschritt. An einer Stelle stechen zwei verschiedene Soldaten mit Messern auf den Körper ein, während die Kameras fleißig klicken. Der Tote wird ausgezogen, es versammeln sich Schaulustige. Die Leiche wird zum Spielzeug. Man springt auf ihr herum. Man wirft große Steine auf sie, sodass der Schädel zerspringt. Es sind Uniformierte beteiligt, andere Soldaten applaudieren oder fotografieren mit ihren Handys.

Am Ende wird die Leiche zerstückelt und angezündet. Ein Passant kommt mit einem Bein und wirft es ins Feuer, ein anderer bringt den Fuß. Am Ende bleibt ein glühender Aschehaufen auf der Straße.

Warum griff niemand ein? Die einzigen, die sich den Soldaten hätten entgegenstellen können, waren die französischen und afrikanischen Eingreiftruppen. Die Franzosen kamen erst, als die Leiche schon brannte, und drängten die Menge ab; mehr taten sie nicht. Auf einem der Fotos ist in unmittelbarer Nähe ein Misca-Soldat zu sehen. Manchen Berichten zufolge waren Soldaten des burundischen Misca-Kontingents zugegen; sie seien aber weggelaufen. Ruandas Armeesprecher sagt hingegen, die Burunder hätten die Menge auseinandergetrieben. Wie dem auch sei: Den Mord verhinderte niemand, und es wurde niemand in Gewahrsam genommen.

Lediglich ein Angehöriger der zentralafrikanischen Gendarmerie ging auf die Soldaten zu und rief, sie sollten aufhören. Die Soldaten bedrohten ihn. Er rannte zu seinem Auto zurück und kam knapp davon.

Wer ist der Tote? „Er ist Seleka“, hörten Augenzeugen die lynchenden Soldaten rufen. Seleka ist die Rebellenbewegung aus dem muslimischen Norden der Zentralafrikanischen Republik, die im März 2013 Bangui eroberte und Chaos anrichtete, bis im Dezember Frankreich eingriff. Als organisierte Kraft existiert Seleka nicht mehr. Wer noch als Muslim in Bangui lebt, wird schnell verdächtigt, Seleka zu sein. Ein Reporter berichtet, der Lynchmord habe damit angefangen, dass die Soldaten den Mann nach seinem Namen fragten. „Idriss“, habe er geantwortet – ein muslimischer Name. Ein Radiosender in Bangui berichtet, der Tote sei ein Faca-Korporal gewesen, den seine Kameraden als „Verräter“ ausgemacht hätten.

Wer sind die Täter? Die Faca ist keine neutrale Kraft. Es ist die Armee der im März 2013 gestürzten Regierung, die sich damals in alle Winde zerstreute – nach Kamerun, in den Kongo, in den Untergrund. Manche bauten danach die „Anti-Balaka“-Milizen auf, die jetzt gezielt Muslime töten oder verjagen.

Übergangspräsidentin Samba-Panza hat nach ihrem Amtsantritt am 23. Januar einen folgenschweren Fehler gemacht: Sie ernannte die ehemalige Faca zur neuen Regierungsarmee und wies alle früheren Faca-Soldaten an, sich zum Dienst zurückzumelden. 10.400 sollen das bisher getan haben. Dabei hatte die Faca vor ihrer Auflösung nur 7.000 Mann. Die neue Faca ist also höchstwahrscheinlich ein Sammelbecken von Banditen. Niemand scheint das zu überprüfen.

Was geschieht jetzt? Frankreich und die UNO fordern, die Mörder zu bestrafen. Die Präsidentin hat bislang keinen Kommentar abgegeben; sie ist auf Staatsbesuch in Kongo-Brazzaville. Die Regierung in Bangui hat die Gendarmerie mit Ermittlungen beauftragt. Am Freitag begann eine Sitzung des Übergangsparlaments in Bangui, auf der der neue Verteidigungsminister seine Pläne vorlegen soll.

Die Gewalt in Bangui geht unterdessen weiter. Nach Angaben von Augenzeugen verließ am Freitag der bisher größte Flüchtlingstreck die Hauptstadt: eine Kolonne aus hochbepackten Lastwagen mit den letzten Muslimen von Bangui, geschützt von Misca-Truppen aus Tschad. Sie fliehen vor dem sicheren Tod. Ein Mann erzählte, sein Sohn sei vom Lastwagen gefallen – und prompt hätten Milizionäre ihm die Kehle durchgeschnitten, ein Bein, eine Hand und den Penis abgehackt. Alltag in Bangui.