: Ran an die Konsolen
ANIMATIONSFILM In „Summer Wars“ entwirft der japanische Regisseur Mamoru Hosoda eine knallbunte virtuelle Welt: eine Art Übernetz
Man kann immer etwas lernen in japanischen Zeichentrickfilmen. Zum Beispiel wie Tradition und Hightech, das beschauliche Gestern und das glitzernde Übermorgen sich die Hände geben – oder wie sich die zerstörerischsten Kräfte entwickeln, wird dieser Einklang gestört. Berührungsängste mit Hightech kennen diese Produktionen jedenfalls keine. Ob Kampfroboter mit Herz, Maschinen, die eine Seele entwickeln, oder Menschen, die sich in Maschinen verwandeln – in Animes wird es als Selbstverständlichkeit durchgespielt.
In „Summer Wars“ von Mamoru Hosoda erfährt man, wie spektakulär schön es aussehen könnte, wenn das Alltagsleben der Menschen tatsächlich einmal im Internet aufginge. Das heißt im Film kurz „Oz“ und ist noch bonbonfarbener und aufregender als das zauberhafte Land hinter dem Regenbogen. Hier ist alles möglich, wenn es nur knallig bunt und niedlich daherkommt. Denn anders als unser stinknormales Netz ist dieser virtuelle Raum bevölkert von unzähligen digitalen Stellvertretern, Avataren, die für ihre User handeln, miteinander kommunizieren, Einkäufe erledigen, Informationen austauschen oder an rasanten Wettkämpfen teilnehmen, in einer Art Übernetz, in dem Facebook, Second Life, Google und Onlineshops ineins fallen. Und weil jeder Avatar so aussehen darf, wie sein Nutzer oder seine Nutzerin das für richtig hält – ob Mensch, Tier, Comicfigur oder kulleräugiges Dingsda –, sind der Verspieltheit keine Grenzen gesetzt.
Bis ein Bösewicht ins Paradies eindringt und nach und nach die Kontrolle übernimmt. Damit kommt die andere Welt, von der „Summer Wars“ erzählt, ins Spiel, nämlich die reale. Die wird vertreten durch die Großfamilie Jinnouchi, Nachkommen einst mächtiger Samurai, die im Dienste des Kaisers ihr Land verteidigten. Aber das war einmal, vom Reichtum der alten Zeiten ist wenig mehr übrig geblieben als ein ein idyllisch gelegenes Anwesen auf dem Land. Dort versammeln sich die Jinnouchis einmal im Jahr, um den Geburtstag der Großmutter zu begehen. Hosoda zeichnet die Jinnouchis als Spiegelbild der Gesellschaft Japans oder genauer: als Mikrokosmos aus lauter schrulligen Individuen mit großem Herz. Und weil da Feuerwehrmänner, Ärzte, Polizisten mit Hackern, Profi-Gamern und Programmierkünstlern an einem großen Tisch zusammenkommen, ist diese Familie genau die richtige, um die Katastrophe abzuwenden.
Denn der bösartige Avatar, der das Internet übernimmt, richtet Chaos auch in der realen Welt an. Elektrizität, medizinische Notfalldienste, Wasserversorgung: die gesamte Infrastruktur ist ans Netz angeschlossen. Nach und nach fällt alles in die Hand des unbekannten Angreifers. Weil einige der Mitglieder der Jinnouchis mehr oder minder ungewollt an dem Desaster beteiligt sind und weil die geplante Familienfeier nicht ins Wasser fallen darf, setzt man auf Arbeitsteilung. Die eine Hälfte rettet die Welt, die andere kümmert sich um die Vorbereitungen zum Fest. Als erste krempelt Großmutter die Ärmel ihres Kimonos hoch und dirigiert Japan in der Krise vom Telefon aus. Wer auf Gemeinsamkeit statt auf Streiterei setzt, kann alle Krisen meistern, die persönlichen wie die globalen. Und wenn von Jung bis Alt alle an den Videokonsolen sitzen, kann auch der größte Gegner nichts mehr ausrichten.
DIETMAR KAMMERER
■ „Summer Wars“. Regie: Mamoru Hosoda. Animationsfilm, Japan 2009, 114 Min.