„Nasrallah ist jetzt schon ein Held“

Der militärische Erfolg hat die Hisbollah zum Aushängeschild für einen panarabischen Islamismus gemacht, der mit Gewalt auf frühere Demütigungen reagiert. Zugleich wird es ohne einen Sieg Israels über die Hisbollah kaum Frieden geben, so der libanesische Schriftsteller und Publizist Hassan Daoud

INTERVIEW ALFRED HACKENSBERGER

taz: Herr Daoud, Sie arbeiten bei der Tageszeitung Al-Mustaqbal , die zum Hariri-Imperium gehört. Kann man davon Ihre politische Position ablesen?

Hassan Daoud: Der Krieg muss sofort aufhören. Nach fast 30 Jahren Krieg muss einmal Schluss sein. Wir müssen uns endlich wie Syrien oder andere arabische Staaten verhalten, die nicht aktiv kämpfen. Syrien treibt den Libanon immer wieder in Kriege gegen Israel, ohne selbst etwas zu tun. Wenn sie kämpfen wollen, sollen sie das alleine machen.

Ich nehme an, Iran zählen Sie auch zu diesen Ländern.

Ja, natürlich, und auch Jemen. Diese Länder behindern eine diplomatische Lösung, weil sie sich weigern, die Hisbollah zu beeinflussen, ihre Angriffe zu stoppen. Wir Libanesen haben eigentlich nicht genug Gründe, einen Krieg anzufangen und so viel Zerstörung und Leid zu ertragen.

Ist die Befreiung der libanesischen Gefangenen in Israel und der Rückzug der israelischen Armee aus dem Gebiet der Shebaa-Farmen kein Grund?

Die Gefangenen und die Shebaa-Farmen sind doch nur Alibi. Seit 1969 ist der Libanon das Land, von dem aus Israel bekämpft werden soll. Zuerst war es bis 1982 die PLO und jetzt die Hisbollah. Die arabischen Staaten denken, der Kampf gegen Israel sei eine heilige Mission.

Warum war die Regierung unter Premierminister Siniora nicht unnachgiebiger bei der Entwaffnung der Hisbollah?

Die Hisbollah ist eine starke Militärmacht, wie jetzt jeder merkt. Die kann man nicht einfach entwaffnen. Die Schiiten sind auch eine der größten Gruppen der libanesischen Gesellschaft.

Was bedeutet das für die Zukunft?

Es kommt darauf an, wie lange der Krieg dauert und wie lange die Flüchtlinge in Beirut bleiben müssen. Mit den ersten Flüchtlingen aus dem Süden gab es religiöse Feindseligkeiten.

Wer könnte nach dem Krieg gegeneinander kämpfen?

Sunniten und Schiiten. Jeder hat eine unterschiedliche Agenda, und die Sunniten könnten die Schiiten für die Zerstörungen und menschlichen Opfer verantwortlich machen. Der Libanon ist ein gefährlicher Ort, da wir nicht Individuen sind, sondern nur Mitglieder in unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gemeinschaften.

Neueste Umfragen zeigen, dass die Hisbollah unter Sunniten zu 89 Prozent unterstützt wird. Bei Christen und Drusen sind es jeweils 80 Prozent.

Ich kenne die Umfrage und halte sie für inkorrekt. Ich weiß, dass die Sunniten einen bedingungslosen Waffenstillstand wollen. Der Kampf mit Israel muss irgendwann einfach zu Ende sein.

Dieses Mal sieht es so aus, als ob der Kampf wirklich bald ein Ende findet.

Aber nur, wenn Israel in absehbarer Zeit einen Sieg über die Hisbollah erringt. Sonst gibt es kein Ende. Momentan scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Israel musste sich aus libanesischem Territorium zurückziehen. Meiner Meinung nach gibt es keine endgültige Entscheidung. Die Diplomatie hat begonnen und wird bald den bewaffneten Konflikt stoppen.

Dann geht die Hisbollah als Sieger hervor, weil sie einer der stärksten Militärmächte der Welt Stand gehalten hat.

Hassan Nasrallah ist jetzt schon ein Held. In der ganzen arabischen Welt gehen die Menschen für ihn und die Hisbollah auf die Straße. Er hat ein bisschen von dem, was den ägyptischen Präsident Abdel-Nasser in den 50er- und 60er-Jahren auszeichnete.

Nahib Berri, der libanesische Parlamentspräsident, sagte, ein Sieg der Hisbollah wird den gesamten Nahost-Konflikt lösen.

Leider kapieren das die USA und Israel nicht. Mit einem siegreichen Nasrallah wird es Verhandlungen über eine umfassende Lösung geben. Sollte nur ein kleiner Punkt nicht erfüllt werden, geht alles wieder von vorne los. Alle Häftlinge kommen frei, die Shebaa-Farmen und wahrscheinlich auch die Golan-Höhen werden zurückgegeben. Mit einem Kompromiss gibt sich Nasrallah nicht zufrieden.

Vor Kurzem hat sich al-Qaida gemeldet. Sie wollen ganz Palästina.

Nicht nur das, sie wollen alles bis nach Andalusien. Das hat mich an meine Jugend erinnert, als die Alten vom sagenumwobenen Andalusien erzählten. Wer eine Lösung des Konflikts erzielen will, muss beachten, dass es einen historischen Konflikt gibt. Und dabei geht es nicht nur um Grenzen, da und dort ein Stück Land mehr oder weniger.

Sondern?

Es geht um Würde, um die gedemütigte Würde der Araber. Nehmen wir nur die letzen 60 Jahre: 1949 trieb Israel die Palästinenser aus dem Land, 1967 besiegte es die arabischen Staaten und vom Sieg 1973 entspricht fast nichts der Realität. 1982 besetzte Israel Beirut, zum ersten Mal eine arabische Hauptstadt, was für die Araber kaum zu verdauen war.

Mit ihren militärischen Erfolgen liefert die Hisbollah quasi psychologischen Balsam für die geschundene arabische Seele?

Ja, das kann man so sagen. Abdel-Nasser sprach früher von der arabischen Würde. Auch Bin Laden appelliert an die Würde, wenn er von der „Erniedrigung islamischen Territoriums durch die Kreuzzügler“ schimpft.

Welche Rolle spielt bei dem Konflikt der Islam als Religion?

Libanon war bis in den Bürgerkrieg hinein das Land der Verlage. Was in Beirut gedruckt wurde, ging in alle arabische Länder. Auch umgekehrt. In meiner Jugend war ich von ägyptischen Schriftstellern begeistert. Heute gibt es keinen kulturellen Austausch mehr. Jedes Land ist isoliert und produziert für sich selbst. Was heute in der arabischen Welt verbindet, ist die islamische Kultur.

Die Hisbollah ist das Aushängeschild dieses panarabischen Islamismus?

Nicht nur für die Islamisten. In Kairo haben Frauen mit dem Foto Hassan Nasrallahs demonstriert, von denen viele kein Kopftuch und keinen Schleier trugen. Wie ich schon sagte, Nasrallah ist der neue Abdel-Nasser.