Der Ärztestreik fördert die Privatisierung des Gesundheitswesens : Gespreiztes Arbeitnehmer-Verständnis
Ein Gewinner des Ärztestreiks steht schon fest: die privaten Klinikbetreiber. Sie dürfen sich über künftige Schnäppchen freuen. Durch höhere Gehälter würden die öffentlichen Häuser noch schneller in die roten Zahlen gelangen, was den Privatisierungstrend der Branche beschleunige, frohlocken Branchenexperten. Für die Kassenchefs der Kommunen mag es eine Erleichterung sein, wenn sie die Verantwortung für defizitäre Häuser los sind. Den Krankenkassen hilft es wenig, denn die Gewinne wandern an die Börse. Richtig verlieren werden aber vor allem die gering qualifizierten Mitarbeiter eines Krankenhauses.
Wie viel Geld sich mit Kliniken verdienen lässt, zeigt das Beispiel des Rhön-Klinikums. Der Krankenhauskonzern konnte im vergangenen Jahr rund 88 Millionen Euro Gewinn und ein kräftiges Wachstum verbuchen. Derzeit sind etwa 12 Prozent der Häuser in privater Hand, in zehn Jahren könnte etwa jedes vierte privat betrieben werden. Der Ärztestreik wirkt dabei als Katalysator: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft rechnet mit Folgekosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro, die die kommunalen Krankenhäuser zu tragen haben, wenn die Ärzte sich mit ihren Gehaltsforderungen durchsetzen – bei gedeckelten Budgets. Da dürfte den Damen und Herren des Stadtrats die Entscheidung künftig leicht fallen, wenn es darum geht, kostenintensive Krankenhäuser zu veräußern.
Die Patienten bekommen in der Regel nicht mit, ob sie nun von öffentlichen oder privaten Bediensteten operiert werden. Die Ärzte verdienen häufig sogar besser, und obendrein arbeiten private Kliniken meist wirtschaftlicher. Wo die Wirtschaftlichkeitsreserven liegen, zeigt ein Blick in die Bilanzen: Zwei Drittel der Kosten im Krankenhausbereich sind Personalkosten. Das Schlüsselwort zum Sparschwein heißt Lohnspreizung. Das heißt, qualifizierte Mitarbeiter verdienen gut, unqualifizierte schlecht. Das funktioniert am besten durch „Outsourcing“.
Nach der Übernahme durch einen privaten Betreiber wird in der Regel ausgelagert, was sich auslagern lässt – die Küche, die Apotheke, die Buchhaltung. Dabei wird der billigste Anbieter bevorzugt. Billig ist es, wenn die Mitarbeiter sich mit schlechteren Löhnen und Arbeitsbedingungen als im Flächentarif zufriedengeben. Etwa jede sechste Stelle kann auf diese Weise verlagert werden.
Für Arbeitnehmervertreter schauen die Gewerkschafter im Marburger Bund bis jetzt recht großzügig über solche Folgen des Streiks hinweg. Klar, sonst müssten sie sich ja auch den Vorwurf gefallen lassen, die Privilegien einer Elite auf Kosten der übrigen Beschäftigten am Krankenhaus zu verteidigen. ANNA LEHMANN