: Die Menschen in Bagdad bleiben zu Hause
In der irakischen Hauptstadt fordert die Gewalt bis zu mehreren Dutzend Tote am Tag. Nun will ein neuer Plan Abhilfe schaffen. Bürgerwehren sollen in den einzelnen Stadtvierteln für Sicherheit sorgen. An einen schnellen Erfolg glaubt niemand
AUS BAGDAD INGA ROGG
Die amerikanische Militärführung hat am Wochenende die Verlegung von mehreren tausend Soldaten nach Bagdad angekündigt, um den unterschwelligen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten einzudämmen. Das größte Kontingent wird mit rund 3.500 Soldaten die in Mossul stationierte 172. Stryker-Brigade tragen, die nach einjährigem Einsatz eigentlich abgezogen werden sollte. Charakteristisch für die Einheit ist der „Stryker“, ein gepanzertes, achträdriges Hightech-Militärfahrzeug, das speziell für den Kampf gegen Rebellengruppen entwickelt wurde.
Verstärkt werden soll die Stryker-Brigade durch mehrere hundert Soldaten aus anderen Truppenverbänden sowie etwa 4.000 irakische Soldaten und Sicherheitskräfte. Gegenwärtig sind in der Hauptstadt 9.000 amerikanische und 85.000 irakische Soldaten sowie 34.500 Polizisten stationiert. Auf die Verdoppelung der Truppenstärke hatten sich vergangene Woche der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki und Präsident George W. Bush geeinigt, nachdem sie zuvor einräumen mussten, dass die vor sechs Wochen begonnene Großoperation in Bagdad keinerlei Erfolge gebracht hatte. Im Gegenteil: Die Gewalt, die zwischenzeitlich mehrere Dutzend Tote täglich forderte, hat einen Höchststand erreicht.
Obwohl man derzeit in Bagdad überall auf Straßensperren der Polizei oder Armee trifft, ist die Hauptstadt nicht sicherer geworden. Beinahe jeder, mit dem man dieser Tage spricht, kann aus eigener Erfahrung über die notorische Disziplinlosigkeit der Sicherheitskräfte berichten. Zahlreich sind die Fälle, in denen Polizisten und Soldaten bewaffneten Zusammenstößen zwischen Sunniten und Schiiten tatenlos zugesehen haben. Notrufe werden mit dem lapidaren Hinweis quittiert, die Bürger sollten das Problem selber lösen. Noch schlimmer sind die offenbar zahlreichen Vorfälle, in denen die Sicherheitskräfte mit der einen oder anderen Seite kollaborierten. Man könne nie wissen, ob man es mit staatstreuen Männern in Uniform oder getarnten Terroristen oder Milizionären zu tun habe, sagen viele Bagdader.
Hat man indes eine Gruppe von Bewaffneten vor sich, kann die Auskunft, ob man Schiit oder Sunnit ist, über Leben oder Tod entscheiden. Das sichtbarste Zeichen für den Vertrauensverlust gegenüber den Ordnungskräften und das allgegenwärtige Misstrauen sind die Barrikaden, die Nachbarn in ihren Straßen und Vierteln errichtet haben. Wer nicht unbedingt muss, bewegt sich schlicht nicht aus dem Haus.
Der Kommandant der multinationalen Streitkräfte im Irak, General George Casey, wie auch Staatspräsident Dschalal Talabani zeigten sich zuversichtlich, dass der neue Sicherheitsplan Wirkung zeigen wird. Dabei ist nach Auskunft von Talabani gegenüber der taz vorgesehen, die Stadt in Sektoren zu unterteilen, in denen lokale Komitees, also Bürgerwehren, die Sicherheitsverantwortung für ihr Quartier übernehmen. Auf Seiten vieler Sunniten hat die Furcht vor Übergriffen von schiitischen Milizen, allen voran der Mahdi-Armee, mittlerweile einen Meinungsumschwung bewirkt. Lieber die Amerikaner als die Polizei, denn die USA seien in dem Konflikt neutral, lautet ein weitverbreitetes Urteil.
Von schiitischer Seite hagelte es indes Kritik an dem Plan. So sprach sich Abdulasis Hakim vom „Hohen Rat für die Islamische Revolution“ (Sciri) gegen die Verstärkung der US-Truppen aus. Nicht die Amerikaner, sondern die Iraker sollten für die Stabilisierung des Landes die Verantwortung übernehmen. Mit den Badr-Brigaden, die den Sicherheitsapparat unterlaufen haben, verfügt der Sciri über eine schlagkräftige Miliz. Allerdings sprach sich Hakim gleichzeitig für die in Malikis „Versöhnungsplan“ vorgesehene Auflösung der Milizen aus. Ähnlich wie Talabani setzte sich Hakim dafür ein, die Verantwortung an die Stadtteile zu übergeben.
Der prominente kurdische Abgeordnete Mahmud Osman, der Mitglied der Versöhnungskommission ist, äußerte jedoch Zweifel an dem Vorhaben. „Die Gefahr ist groß, dass die Amerikaner dadurch zwischen die Fronten geraten“, sagte Osman gegenüber der taz. Es sei nicht Aufgabe der Amerikaner, einen Bürgerkrieg abzuwenden, das müssten die Politiker tun.
Der Abzug von US-Truppen aus anderen Landesteilen birgt noch ein anderes Risiko. Angesichts der Disziplinlosigkeit der irakischen Sicherheitskräfte öffnet der Abzug der Amerikaner den Milizen und Untergrundgruppen Tür und Tor. In Bagdad erwartet deshalb niemand einen schnellen Durchbruch.