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Archiv-Artikel

Aufstand der Sachbearbeiter

In Dortmund stieg der Anteil der Gewerkschafter unter den Allianz-Mitarbeitern sprunghaft an

AUS DORTMUND DIRK ECKERT

Schnell noch ein paar Unterschriftenlisten unter den Arm geklemmt, dann geht es los. „Du sammelst die Unterschriften, ich verteil‘ die Karten“, schlägt er vor. Sie nickt. Zügig verlassen Irina und Thomas Bürstinghaus das Betriebsratsbüro der Dortmunder Commerzbank.

Im Haupteingang bauen sie sich auf. Schon bald hat die 47-jährige Irina Bürstinghaus die erste Kundin angesprochen. „Das ist gegen den Stellenabbau bei der Allianz, der Commerzbank und der Dresdner Bank“, erklärt sie ruhig und hält ihr die Liste hin. „Die machen Rekordgewinne“, ergänzt ihr 49 Jahre alter Mann. Die ältere Dame prüft den Text und entscheidet sich schnell: Sie unterschreibt.

Wieder ein kleiner Erfolg. Rund 4.200 Unterschriften haben die Allianz-Mitarbeiter schon gesammelt, seit Deutschlands größter Versicherer Ende Juni bekannt gab, 1.800 Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen zu streichen. In Dortmund werden laut Gewerkschaft 370 Menschen ihre Arbeit verlieren. Auch bei Dresdner Bank und Commerzbank sind 400 beziehungsweise 180 Arbeitsplätze bedroht.

Kurz vor der Unterschriftensammlung hatten Irina und Thomas Bürstinghaus noch in der Dortmunder Innenstadt gegen den Arbeitsplatzabbau demonstriert. Nach Gewerkschaftsangaben beteiligten sich mehrere hundert Menschen an der Demo, darunter ein Großteil der Allianz-Angestellten, die den ganzen Tag einen Warnstreik abhielten – auch wenn es bei der Demonstration am Mittag in der Innenstadt auf den ersten Blick gar nicht so aussah. Statt Anzug und Kostüm waren Aktions-T-Shirts angesagt: Allianz, geschrieben mit dem markanten A der Arbeitsagentur.

Mitten in der Dortmunder Fußgängerzone hatten die Allianzer ein großes Holzkreuz errichtet. Auch Irene Bürstinghaus war da, ihr Mann richtete den Trauerkranz her. Aus einem Lautsprecher schallte „Time to say goodbye“, während sich der Platz vor dem Holzkreuz schlagartig mit roten Grableuchten füllte.

„Hier ruht die Unternehmenskultur der Allianz“, stand auf den Schleifen des Trauerkranzes. „Wir sind sehr traurig. 367 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Passend dazu forderte der stellvertretende Vorsitzende der Dortmunder SPD, Armin Jahl, in seiner Rede den Versicherungskonzern auf, mit seinem „kapitalistischen Gebaren“ aufzuhören. Und der Dortmunder CDU-Fraktionsvorsitzende Frank Hengstenberg sagte, dass die Unternehmen nun auch bitteschön eine Gegenleistung erbringen müssten, nachdem ihre Steuern gesenkt worden seien. Es gab schon mal radikalere Versammlungen in der Geschichte der Arbeiterbewegung.

Aber auch welche mit weniger Teilnehmern. Dass die Allianzer angesichts des drohenden Arbeitsplatzverlustes bereit sind, ihre Büros gegen die Straße einzutauschen, bekommt auch die Gewerkschaft zu spüren. Schon vor ein paar Wochen hatten die Ver.di-Bezirke an den nordrhein-westfälischen Standorten der Allianz von einer Eintrittswelle berichtet. In Dortmund zum Beispiel stieg der Anteil der Gewerkschafter unter den Allianz-Mitarbeitern in kürzester Zeit von 5 auf 30 bis 40 Prozent – unmittelbar nachdem die Konzernspitze die geplanten Massenentlassungen bekannt gegeben hatte.

In der Dortmunder Innenstadt findet man an diesem Tag schnell einige der neuen Gewerkschafter. Sonja Brinkmann zum Beispiel. Die 34-Jährige ist erst seit dem 1. Juli Mitglied. „Vorher habe ich das immer verdrängt und nicht für notwendig gehalten“, gibt sie zu. Immerhin elf Jahre arbeitet sie in der Versicherungsbranche. Doch jetzt geht es um alles, sie hat schließlich eine Familie zu ernähren. Also lernt sie jetzt Gewerkschaftsarbeit im Crashkurs. Die heutige Lektion: Unterschriften sammeln vor der Dresdner Bank. Die Allianzer sollten zum Start der Bundesliga auch vor dem Dortmunder Fußballstadion Unterschriften sammeln, um noch mehr Leute zu erreichen, schlägt sie vor. „Man darf nicht soll schnell aufgeben.“

Aber was bleibt den Allianzern schon übrig. „Man ist zu alt für den Arbeitsmarkt und zu jung für die Rente“, bemerkt die 38-jährige Elefteria Tsiku bitter. Auch sie ist Neumitglied bei Ver.di. Sie habe zwar gehört, dass der Versicherer in Bremen einige neue Stellen schaffen wolle. Aber es könne ja nicht jeder dorthin ziehen. Viele Allianz-Beschäftigte hätten sich in Dortmund eingerichtet und Häuser gekauft.

„Nach Bremen können nur die, die nicht gebunden sind“, sagt Irina Bürstinghaus. Sie selbst ist nicht in der Gewerkschaft, dafür aber ihr Mann Thomas. Und der ist übrigens auch Mitglied der CDU. Vom Ortsverband seiner Partei hätte er sich eine schnellere und entschiedenere Reaktion zum drohenden Stellenabbau erwartet, gibt er zu. Also gilt es, weiter Druck zu machen. Zum Beispiel durch Unterschriftensammlungen. Mit seiner Frau Irina steht er nicht lange im Haupteingang der Commerzbank.

Nach einer Viertelstunde kommt ein Mitarbeiter hinaus. „Darf ich Sie bitten, dass Sie das nicht im Gebäude, sondern vor der Tür machen“, sagt er bestimmt. „Sie haben das Hausrecht“, versucht sich Thomas Bürstinghaus in Deeskalation und verlässt mit seiner Frau den Eingang. Ein paar Meter weiter bauen sich beide wieder auf. Dass sie Unterschriften sammeln, sei mit dem Betriebsrat der Commerzbank abgesprochen gewesen, sagt er. Aber nicht mit der Filialleitung. „Wenn jemand sagt, wir sollen gehen, müssen wir weg“, weiß er. „Dadurch lassen wir uns aber nicht aufhalten.“