: „Mit solchen Risiken müssen wir leben“
Einen absoluten Schutz vor Anschlägen auf Bahnhöfe oder Züge gibt es nicht, sagt der Bochumer Professor Thomas Feltes. Im Fall des Kofferfunds in Dortmund warnt der Kriminologe jedoch vor voreiligen Schlüssen und Panikmache
taz: Herr Feltes, ist der Dortmunder Hauptbahnhof nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschlittert?
Thomas Feltes: Ich warne vor falscher Panikmache. Derzeit kann man seriös weder von einer „Bombe im Zug“ (Bild) noch von einem „Anschlag auf den Bahnhof“ (Focus-Online) ausgehen. Was ist tatsächlich passiert: Es wurde ein Koffer mit einer Gasflasche, Kabeln und einer angeblichen „brennbaren Flüssigkeit“ gefunden. Entsprechend hatten die Bahnhofsmitarbeiter beim Öffnen der Tasche den Eindruck, dass es sich um einen gefährlichen Gegenstand handeln könnte. Wenn sie wirklich eine Bombe gefunden hätten, dann hätten sie das wohl auch sofort gemerkt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt aber in diese Richtung.
Das ist auch ihre Aufgabe. Ob aber die gefundenen Untensilien strafrechtlich den Versuch der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion nach § 308 StGB darstellen, ist zu bezweifeln, da für den Versuch das unmittelbare Ansetzen zur Tatverwirklichung Voraussetzung ist.
Das heißt?
Das wäre dann der Fall, wenn die „Bombe“ zur Explosion vorbereitet war, aber nicht zündete. Gegebenenfalls käme noch der § 310 StGB in Frage, der die Vorbereitung eines Explosions- oder Strahlungsverbrechens unter Strafe stellt. Vorausgesetzt, es handelt sich wirklich um „Sprengstoff“ – und nicht nur um eine Gasflasche und Kabel, die zum Beispiel zum Löten mitgeführt wurden. Denn so ohne weiteres kann man eine Gasflasche nicht zur Explosion bringen.
Sie glauben nicht an einen Bombenfund?
Ich weiß es nicht. Deswegen lehne ich voreilige Schlüsse ab. Ungeachtet dessen bleibt natürlich die Frage, wer den Koffer im Zug hat stehen lassen und warum? Aus der Tatsache, dass die Polizei die Tasche erst über vier Stunden nach Auffindung gesprengt hat, ohne dass größere Schäden entstanden sind, kann zum einen abgeleitet werden, dass sie nicht in dem Zug explodieren sollte – es sei denn, der mögliche Täter hat die „Bombe“ falsch gebaut. Zum anderen kann wohl geschlussfolgert werden, dass das Fundstück – wenn überhaupt – „nur“ Schrecken einjagen sollte. Auch wenn natürlich immer die Gefahr besteht, dass Personen verletzt oder gar getötet werden.
Falls es sich doch um einen Bombenleger handelt: Wer könnte dahinter stecken?
Solange kein Bekennerschreiben vorliegt, kann man davon ausgehen, dass es sich um einen Einzeltäter handelt. Was der oder die wollte, bleibt erst einmal im Dunkeln. Da will ich nicht spekulieren.
Unternimmt die Bahn genug zum Schutz vor Anschlägen?
Bahnhöfe und Züge sind wie alle Orte, wo sich viele Menschen treffen, immer bevorzugte Ziele von Anschlägen, die Angst und Schrecken verbreiten und großen Schaden verursachen wollen. Dies ist nicht erst seit den Anschlägen in London, Tokio und Madrid bekannt. Ein absoluter Schutz vor solchen Anschlägen ist nicht möglich. Sicherlich könnte die Bahn eine elektronische Gepäckkontrolle einrichten, ähnlich wie auf den Flughäfen. Aber was dies für den Ablauf des Zugverkehrs bedeuten würde, kann sich jeder selbst ausmalen.
Einen wirksamen Schutz gibt es also nicht?
Im Ergebnis gehören – vermutete, versuchte, tatsächliche – Anschläge zum Risiko unserer Gesellschaft. Ähnlich wie mit vielen anderen Risiken im Alltag müssen wir auch damit leben, wenn wir die Vorzüge eines modernen Lebens geniesen wollen.
Interview: Pascal Beucker