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Archiv-Artikel

Aussiedeln der Zuschauer

Für ihre „Geschichten aus dem Plänterwald“ lädt die Neuköllner Oper zur Ortsbesichtigung ein. Groß ist das Interesse am verfallenden Rummel, doch das theatrale Spektakel kommt nur bis zum Zaun

VON JÖRG SUNDERMEIER

Wenn Kulturmenschen in die Büsche gehen, ist das immer problematisch. Denn die Natur wehrt sich gegen jene, die ihr Form aufdrücken. Ohne Form aber wollen die Kulturmenschen nicht, sie kämen sich dann überflüssig vor.

„Pläntern im Walde“ war das Motto einer ersten Wald versprechenden Veranstaltung der Neuköllner Oper vor den Toren des Spreeparks am vergangenen Sonntagnachmittag. Dieser Titel ist denkbar schlecht gewählt, bedeutet „plentern“ doch, Bäume aus einer Baumschule auszusiedeln, just jene Tätigkeit gab dem Plänterwald auch einst seinen Namen. Die Neuköllner Oper aber wollte nicht aussiedeln, sondern aufführen, und zwar sich. Ende des Monats startet das Stück „Geschichten aus dem Plänterwald“ in dem rührigen Theaterhaus. Dieser Ausflug zum geschlossenen Park, der erste von dreien, war eine PR-Maßnahme, an der sich viele Kunststudenten aus Hildesheim, Braunschweig und das Ensemble leitundlause beteiligten.

Rund 400 Leute waren gekommen und standen zunächst vor den verwaisten, verdreckten und fensterlosen Kassenhäuschen aus der DDR-Zeit herum. Ein Großteil der Zuschauer und Zuschauerinnen hatte die DDR noch selbst erlebt und wollte den Rummelplatz, der zuerst 1967 als Kulturpark geplant und später als Spreepark eine besondere Karriere machen sollte, noch einmal sehen. Ein paar Tische waren aufgebaut, Kuchen und Wasser wurde verkauft, doch keiner war so recht zuständig und ansprechbar. Dann sangen plötzlich fünf Damen in grünen DDR-Kleidern FDJ-Lieder oder „Am Brunnen vor dem Tore“; sie sangen schön, aber betont artifiziell, um den ironischen Gestus zu betonen. Damit das auch den Letzten klar wurde, trug eine Sängerin zwischenzeitlich rote Gummihandschuhe. Später setzte sich das Spektakel in den fünf Kassenhäuschen fort, doch zunächst machte sich Enttäuschung breit.

Man kam also gar nicht hinein in den Park? Durfte nur vor der Tür stehen und durch die Gitter starren? Die Zuschauer konnten das Riesenrad nicht erblicken, kaum die verrotteten Karussells sehen, die Freilichtbühne nicht, sie blieben aus dem langsam von der Natur zurückeroberten Park ausgeschlossen. Da war die Kegelbahn mit Gartenzwergen als Kegeln, die zum Süßigkeitenstand umgemünzte Kasse, an der nur Zucker verkauft wurde, und all die anderen Stände kein wirklicher Trost.

Einzig die „Geisterbahn“ genannte Kasse machte das Publikum einen Moment schmunzeln. Die in der „Geisterbahn“ tätige Schauspielerin hatte Verve, sie schaffte es, eine Zuschauerpolonaise rund um ihr Häuschen zu initiieren, aus dem dann, mit einem Bettlaken als Gespenst verkleidet, die Animateurin wie erwartet heraussprang. Doch sie tat es mit so viel Gebrüll und Körpereinsatz, dass man einfach lachen musste. Auch eine als Biene verkleidete Go-go-Tänzerin amüsierte kurz. Der Stand mit Devotionalien aus dem geschlossenen Park – einem Stück Gummi, einem Stein, einem Ast – wurde jedoch nur als Infopoint genutzt, denn alle wollten wissen, wann sie denn in den Park dürfen. Die Stimmung sackte ab.

So konnte schließlich ein Aktivist der Bürgerinitiative „Pro Plänterwald“, der sich abseits des Spektakels postiert hatte, die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Er hatte wenigstens einen Lageplan dabei und konnte Ereignisse aus der Geschichte des Kulturparks und der vorhergehenden Amüsierbetriebe erzählen. Und ebenso die Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit, also die Querelen um die viel zu lang vom Senat unterstützte Spreepark GmbH, schildern. Deren Kopf, Norbert Witte, hatte sich 2002 mit einigen Karussells nach Südamerika abgesetzt, war kurz danach aber mit nur einem wiederkehrt, in dem kiloweise Kokain versteckt war. Schließlich sprach der Mann auch über die Pläne, die es nun für das Areal gibt, über das verfallende, eigentlich denkmalgeschütze Eierhäuschen und andere, leider unzugängliche Attraktionen.

Die Aufführung der Neuköllner Oper hatte kein Gespür für all das. Sie hatte ihr Spektakel zum Ort gewissermaßen ohne den Ort geplant. Bei ihr wurde die DDR zum Hihi, der Rummel zum Haha, der Verfall zum Höhö. Ein paar Meter weiter, zwischen der Insel, auf der eine Indiepop-Combo schaurig klampfte, und der Eierschale, die die Spree mit Costa Cordalis beschallte, stand ein Leierkastenmann, der mehr Plänterwald und Rummelkarikatur, mehr Gemütlichkeitsterror und Nostalgie war, als sich das die Bühnenleute vorstellen konnten. Dort fanden sich, nach den Baumklettereien und Zaunlochspähereien, jene wieder, die nicht auf den verfallenen Rummelplatz durften. Dort fanden sie, was sie suchten.

6. 8.: Pläntern im Walde II („Jahrmarkt der Geschichten“); 13. 8.: Pläntern im Walde III ( „Rufe aus Wald und Wissenschaft“), jeweils 15–18 Uhr vor den Kassenhäuschen des Spreeparks„Geschichten aus dem Plänterwald“, ab 24. 8. in der Neuköllner Oper