: Durstige Freunde
Von den Eichen in den Hasenheide lernen heißt, differenziert zu denken: Wo steht der Staat und wo stehe ich? Wer hat die meisten Freunde und wer ist blöd?
Wir sollen die Bäume gießen, steht überall in den Zeitungen, es sei heiß, und sie bräuchten unbedingt Wasser. „Sonst noch was?“, war mein allererster Gedanke, „soll ich vielleicht auch noch die Straße asphaltieren und die Kinder mit dem Schulbus zum Anti- Gewalt-Training fahren? Würde das dem sauberen Herrn Staat vielleicht gefallen, hm? Noch ein bisschen regieren helfen eventuell, natürlich auch für umsonst – wäre das genehm?“
„Arschlecken“, habe ich gedacht, „wofür würde ich denn Steuern zahlen, wenn ich genug verdienen würde?“ – übrigens auch noch so eine Ungerechtigkeit, wie wenig ich verdiene –, „doch wohl für Einrichtungen wie das Gartenbauamt, das doch bitte schön die Bäume gründlich gießen möge – es ist nämlich verdammt trocken!“
Als ich in der Hasenheide liege, auf meiner Wolldecke, mit einem Radler in der Hand, und nach oben blicke in den grünen Wipfel der Eiche, die mir Schatten spendet und Kühlung, schäme ich mich auf einmal meiner Gedanken. Nicht wegen des Staats. Mit dem bin ich quitt – schließlich hat er die viel strapazierte Mär vom Selbstbedienungsladen Sozialstaat schon längst ad absurdum geführt: Rentenabgaben ohne Rente, Fernsehgebühren ohne Fernsehprogramm, Schulbusse ohne Bremsen. Ich Eigeninitiative – er feuchter Händedruck: Fair Trade sieht anders aus.
Vater Staat ist eigentlich nur noch ein alter schlampiger Kumpel, der sich Bücher, Videos und Geld leiht und niemals zurückgibt. Eine fette Drohne, die immer dann vor der Tür steht, wenn es überhaupt nicht passt, dir laut summend deine Zeit und dein Bier stiehlt und in der Küche dein Bienchen angräbt, weil er denkt, du wärst gerade beim Scheißen.
Ich schäme mich vielmehr vor der Eiche, die übrigens völlig zu Unrecht gern als Nazibaum diffamiert wird. Der Staat versucht doch bloß, mit Hilfe seiner willfährigen Presseorgane Baum und Bürger gegeneinander auszuspielen. Das wird ihm nicht gelingen. Wir halten zusammen – gegen den Staat. Ich werde den Baum gießen, nicht, weil mir der Staat das sagt, sondern trotzdem. Der Baum gibt mir Schatten, ich gebe ihm Wasser. So einfach ist das, eine Hand wäscht die andere, wir sind Freunde, mein Freund der Baum. In dem Baum befinden sich auch noch eine Menge Tiere, die von und mit dem Baum leben – Ameisen, Borkenkäfer, Spechte. Das sind alles die Freunde vom Baum, und die Freunde vom Baum sind automatisch auch meine Freunde. Freunde vom Staat sind sie nicht – der Staat hat keine Freunde. Er ist blöd.
Die Ameisen versuchen, mir ins Radler zu klettern. Ich mache sie ab, energisch, dabei gehen natürlich auch ein paar tot. Das ist schon in Ordnung – unter Freunden schätzt man klare Ansagen. Umgekehrt schmeißt mir ja auch der Baum ab und zu ein paar Eicheln auf den Kopf, wenn ich mich in seinem Schatten gar zu doll erhole. Oder er fällt um, weil ihn seine vielen Freunde zu sehr ausgehöhlt haben.
Mit dem Radler bin ich fertig. Jetzt gieße ich den Baum, wie versprochen. Zwei vorbeilaufende Joggerinnen sehen leicht indigniert zu mir herüber. Gut, sie haben ja recht. Ist zwar bequemer so, doch mit dem Stehpinkler Staat will man sich noch nicht mal symbolisch gemeinmachen. Ich hocke mich ja schon hin.
ULI HANNEMANN