: EU-Kritiker steigt in Wien in den Ring
Bei den österreichischen Parlamentswahlen tritt der Brüsseler Abgeordnete Hans-Peter Martin mit einer eigenen Liste an. Die Kandidatur des erklärten Europa-Skeptikers könnte vor allem die kleinen Rechtsparteien FPÖ und BZÖ in die Bredouille bringen
AUS WIEN RALF LEONHARD
Eine publizistische Bombe war es nicht gerade, als der EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin am vergangenen Sonntag seine Kandidatur mit einer eigenen Bürgerliste für die Nationalratswahlen am 1. Oktober ankündigte. Schließlich hatte die Kronen-Zeitung ihre Leser lange vorbereitet. Jetzt ist es offiziell. Seit gestern sammelt Martin Unterstützerunterschriften.
Der 49-jährige ehemalige Spiegel-Korrespondent in Rio de Janeiro und Wien, der vor zehn Jahren durch den Bestseller „Die Globalisierungsfalle“ zu Ruhm und Vermögen kam, hat keine schlechten Chancen, die Vierprozenthürde zu überspringen, meinen die Demoskopen. Bei den EU-Wahlen vor zwei Jahren konnte er aus dem Stand 14 Prozent und zwei Mandate erringen. Er habe tausende E-Mails bekommen, in denen er aufgefordert worden sei, sich an den Wahlen zu beteiligen, begründete Martin seinen Entschluss, sein Mandat in Brüssel vorzeitig aufzugeben. Er wolle sich für mehr direkte Demokratie einsetzen und „die Gerechtigkeitsfrage immer wieder zum Thema machen“.
Kritik an der Brüsseler Bürokratie hat er sich natürlich auch auf seine Fahnen geschrieben. Sonst hat er weder Programm noch eine Kandidatenliste zu bieten. Finanzieren will der Vorarlberger den Wahlkampf aus eigener Tasche und mit Geldern, die ihm von der Wahlkampfkostenrückerstattung von den EU-Wahlen übrig geblieben sind.
Schon damals war seine Kampagne sparsam. Auch diesmal ist damit zu rechnen, dass Martins Wahlkampf vor allem über die auflagenstarke Kronen-Zeitung lanciert wird. Er ist der Favorit des greisen Herausgebers Hans Dichand, der ihm eine wöchentliche Kolumne eingeräumt hat. Sind sich doch beide in ihrer EU-Skepsis einig. Der Hälfteeigentümer WAZ (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) hat Dichand ob seines Engagements für den als Querulanten verschrienen Publizisten bereits gerüffelt. Denn im Redaktionsstatut hat sich die Krone der Unabhängigkeit gegenüber allen Parteien und Interessenvertretungen verschrieben. Doch gewöhnlich lässt sich der autokratische Zeitungsmann von Zurufen aus Essen nicht irritieren.
Martins Einstieg in den Wahlkampf eröffnet der Wählerin und dem Wähler eine Unzahl taktischer Entscheidungsvarianten. Künftige Koalitionskonstellationen hängen davon ab, ob alle sechs Parteien (ÖVP, SPÖ, Grüne, FPÖ, BZÖ, Liste Martin) bzw. Listen den Einzug in den Nationalrat schaffen. In diesem Fall dürfte rechnerisch kaum etwas anderes als eine große Koalition möglich sein. Scheitern die Kleinen knapp, dann werden ihre Mandate den anderen Parteien zugeschlagen, was die Grünen als Koalitionspartner für ÖVP wie SPÖ ins Spiel bringen würde. Manche halten sogar eine absolute Mandatsmehrheit der ÖVP für möglich.
Nach dem Finanzspekulationsskandal der gewerkschaftseigenen Bank für Arbeit und Wirtschaft (Bawag), der auch die SPÖ schwer beschädigt hat, spürt die Kanzlerpartei deutlichen Aufwind. Oppositionschef Alfred Gusenbauer will bei einem vorgezogenen SPÖ-Parteitag am 8. September das Ruder herumreißen. Derzeit liegt seine Partei in den Umfragen zwei bis sechs Punkte hinter der ÖVP.
Schaden werde Martins Kandidatur vor allem den rechten Gruppen FPÖ und BZÖ, die auch von Protestwählern leben. Das orakeln die Meinungsforscher und Politologen. Vor allem für Haiders BZÖ könnte der Kampf um die Stimmen der Euroskeptiker existenzbedrohend sein. BZÖ-Chef Peter Westenthaler ringt daher um Aufmerksamkeit. Er will nicht nur 300.000 Ausländer deportieren, sondern jetzt auch Fotos und Daten von Kinderschändern, die ihre Strafe abgesessen haben, ins Internet stellen.
Während fast alle Parteien regieren wollen, sind Koalitionsansagen Mangelware. Die ÖVP zeigt zwar deutliche Präferenzen für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem pflegeleichten BZÖ und starke Reserven gegenüber einer großen Koalition. Doch hält man sich alle Optionen offen. BZÖ-Chef Peter Westenthaler bezieht seine demonstrative Zuversicht aus dem Versprechen, dass einzig ein starkes BZÖ eine angeblich drohende Linkswende verhindern könne. Für Hans-Peter Martin gilt es zunächst, Unterschriften zu sammeln. Bis zum 25. August muss er landesweit 2.600 beglaubigte Unterschriften beibringen. Diese müssen auf einem Bezirksamt geleistet und dann noch abgeschickt werden.