So ist Israelkritik politisch korrekt

VON ISOLDE CHARIM

Sie wollen Israel kritisieren? Das geht natürlich – wenn Sie einigen Regeln folgen:

1. Halten Sie inne und überlegen Sie, wer Sie sind.

Wenn Sie ein Jude sind und in Israel leben, dann ist Skepsis gegenüber der eigenen Kriegsmaschinerie Ihre erste Bürgerpflicht. Wenn Sie das Enkelkind eines deutschen Wehrmachtsoffiziers sind, liegt die Sache etwas anders. Radikales Israel-Bashing hat hierzulande einen Hautgout. Versuchen Sie nicht, ihre Kritik dazu zu benutzen, die eigenen Tabus zu überwinden. Die Infragestellung der israelischen Politik bedarf des vorgängigen, grundlegenden Konsenses, Israel nicht von einer Feindposition aus zu kritisieren. Zielrichtung der Kritik sollte es vielmehr sein, Israel vor Fehlern zu bewahren. Verlieren Sie diese Freundschaftsperspektive nicht aus den Augen.

2. Bevor Sie argumentieren, überprüfen Sie Ihre Emotionen.

Das Thema lässt sich nicht in Distanz von der eigenen Person abhandeln. Im Unterschied zu anderen Konflikten fühlt jeder sich betroffen, ist jeder involviert. Und zwar nicht nur, weil eine Kriegssituation notwendigerweise Parteinahmen erzwingt, sondern auch, weil es dabei um den jüdischen Staat geht – ein Punkt, der vor allem in Deutschland aus nahe liegenden Gründen nach wie vor jeden persönlich bewegt.

3. Hüten Sie sich vor Formulierungen wie: „Gerade das Volk, das so viel gelitten hat, tut jetzt anderen Leid an.“

Damit entlarven Sie sich umgehend als Antisemit. Auch die Unterart: „Gerade das Volk, das so viel gelitten hat, muss doch eine besondere Sensibilität für anderes Leid haben“, ist nicht besser. Juden haben keine besondere Verpflichtung zur Moral, sondern ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis. Auschwitz war keine Schule für Gutmenschentum!

4. Glauben Sie nicht, mit der blauäugigen Forderung nach Ausgewogenheit wären Sie aus dem Schneider!

Ihre Kritik ist dann zwar politisch korrekt, aber sie wird mit ziemlicher Sicherheit nicht als solche anerkannt. Denn von Ihrem womöglich proarabischen Umfeld werden Sie sehr schnell zu hören bekommen, dass vordergründige Ausgewogenheit eigentlich eine verkappte Parteinahme sei. Wenn Sie das erstaunt, so sollten Sie sich das gängige Paradoxon vor Augen halten: Der Versuch, die Opfer beider Seiten zu bedenken, wäre aus Sicht der Freunde Palästinas nur eine Tarnung, um sich auf die Seite Israels stellen zu können. Auch wenn Ihnen Ihr Gegenüber nicht schlüssig erklären kann, warum es überhaupt solch einer Tarnung bedarf, so wird es doch darauf beharren, dass die Gleichsetzung von israelischen und arabischen Opfern nur die raffinierteste Form sei, tendenziös zu sein. Äquidistanz zu beiden Parteien wäre demnach nichts anderes als eine Leugnung der Asymmetrie des Konflikts. Ausgewogene Kritik gilt also nicht als Kritik, sondern als Verzerrung des „Ungleichgewichts des Schreckens“. Achtung: Bereits die Erwähnung von israelischen Opfern gilt schon als entlarvend!

5. Vermeiden Sie das Klischee vom Kampf „David gegen Goliath“.

Denn der Umstand, dass Israel eine übermächtige Armee hat, bedeutet noch nicht automatisch, dass diese im Unrecht ist. In der biblischen Geschichte mag David physische Schwäche mit moralischer Überlegenheit verbinden. Daraus den Umkehrschluss auf die gegenwärtige historische Situation abzuleiten, erscheint leicht als Ressentiment. Darüber hinaus ist die Zuordnung von Stärke und Schwäche in dieser Auseinandersetzung nicht so eindeutig. Ist es bei einer zwischenstaatlichen Auseinandersetzung klar, welche Partei die stärkere ist, so ist es bei einer Auseinandersetzung zwischen bewaffneten Gruppen und Staaten viel schwieriger zu bestimmen, welche Seite letztlich die schwächere ist.

6. Vermeiden Sie den Schulddiskurs!

Eine Argumentation, die von einer Schuldzuweisung ausgeht, unterstellt notwendigerweise, dass es Unschuldige gibt. Wobei sich die Unschuld nicht auf die Zivilisten beschränkt. Wenn Israel schuld an diesem Libanonkrieg ist, dann ist es die Hisbollah irgendwie nicht. Auch der Schulddiskurs lebt von eindeutigen Zuordnungen, die der komplexen Situation im Nahen Osten nicht angemessen sind. Versuchen Sie lieber zu argumentieren, was jenseits der Frage nach der Schuld falsch ist. Erreicht man durch die Bombardierung des Libanons tatsächlich Sicherheit an den Grenzen? Lässt sich eine Terrorgruppe auf diesem Wege isolieren? Das bedeutet, eine strategische anstelle einer grundsätzlichen Kritik anzubringen. Und es bedeutet, bei aller Kritik am Vorgehen, der israelischen Perspektive ihre Berechtigung nicht abzusprechen.

7. Argumentieren Sie aktuell!

Je weiter Sie in der Geschichte des Nahostkonflikts zurückgehen, desto auswegloser wird Ihre Argumentation. Denn die Anhäufung von historischen Verfehlungen ist keineswegs ein Beleg für die eigene Objektivität. Im Gegenteil. Da der Rückgriff auf die Geschichte Ihre Meinung untermauern soll, wird Ihre Auswahl dementsprechend sein. Dies lässt Sie nur umso parteiischer erscheinen. Vom Abzug aus dem Libanon zum ersten Libanonkrieg, führen diese Argumentationen immer bis zur Staatsgründung Israels zurück. Die Fluchtlinie solch eines Diskurses besteht letztlich darin, die Legitimation des Judenstaates in Frage zu stellen. Die Frage nach der Legitimität eines Staates, die über dessen faktische Existenz hinausgeht, ist aber – um das Mindeste zu sagen – äußerst verfänglich. Ebenso unglücklich sind hinkende historische Vergleiche, wie etwa jener zwischen Israel und der Apartheid. (In Südafrika gab es keine Selbstmordattentäter.) Vor allem aber sollten Sie den Vergleich Israels mit den Nazis und die Bezeichnung der Palästinenser als „neue Juden“ vermeiden. Dieser ist nicht nur geschmacklos, sondern auch sachlich völlig verfehlt.

8. Der entscheidende Punkt: Wählen Sie den richtigen Ton!

Letztlich hängt die Bewertung, ob Ihre Israelkritik dem Antisemitismus-Verdacht entgehen kann oder nicht, vor allem am Ton, in dem Sie diese vorbringen. Ja, Israel ist auch ein Besatzungsregime. Ja, das hat nach Jahren Rückwirkungen auf die Gesellschaft. Ja, Israels Sicherheitsdenken ist ein vorwiegend militärisches, für das arabische Demokratieversuche nicht zählen. Aber die für Europäer und speziell für Deutsche notwendige solidarische Haltung erlaubt es nicht, Israel nur als Täter zu betrachten. Im Unterschied zu einer Kritik etwa an den USA, ist es für eine korrekte Israelkritik von Nöten, auch dessen Schwächen und dessen legitime Bedürfnisse in Betracht zu ziehen. Eine Kritik also, deren Ziel ein „glückliches Israel“ ist. Eine Kritik, die dessen gesicherte Existenz mitbedenkt. Eine Kritik, die der äußersten Spannung zwischen Macht und Ohnmacht, zwischen Aggression und Gefährdung, die die Realität Israels ausmacht, gerecht wird. Natürlich muss die Kritik an Israels Stärke ansetzen, wenn sie aber den ergänzenden, zweiten Teil, dessen Schwäche, vergisst, dann wird sie inkorrekt. Denn dann verliert sie den Sonderstatus des Landes aus den Augen, der sowohl in seiner Geschichte wie auch in seiner speziellen Situation begründet ist: Israel stellt derzeit eine äußerste Bedrohung für viele Palästinenser und Libanesen dar – und ist gleichzeitig selbst äußerst bedroht. Vielleicht lässt sich das am besten folgendermaßen auf den Punkt bringen: Eine Kritik, die damit beginnt, Israels Sonderstatus in Frage zu stellen, ist eben politisch nicht korrekt. Der Tenor jener Kritiken, die Unbehagen auslösen, ist letztlich die Zurückweisung dieser Sonderstellung. Die Behauptung, Israel sei ein normales Land, seine Politik sei reiner Imperialismus, ein brutales Kolonialregime, hat immer etwas von einer Abwehr der Vorstellung von einer jüdischen „Auserwähltheit“. Paradoxerweise sind es diese Kritiker, die sich in ihrer politischen Kritik – vielleicht ohne es zu wissen – auf das religiöse Imaginäre beziehen, indem sie es verneinen. Allein die Frage dieses Textes, wie eine politisch korrekte Israelkritik aussehen muss, ist Ausdruck dieses Zwiespalts.