piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Autor im Kontext seiner Theorie

POLITISCHE WISSENSCHAFTEN Quentin Skinner und John Pocock entwickelten in den 1960ern an der Universität Cambridge neue Formen der Ideengeschichte. Ihre Schlüsseltexte liegen nun erstmals auf Deutsch vor

Seit einigen Jahren erlebt die Ideengeschichte eine Renaissance in der deutschen Wissenschaftslandschaft. Dabei hat es bisweilen den Anschein, als werde an idealistische Traditionen der Geistesgeschichte nach Hegel angeknüpft. Dass es der Cambridge School, der derzeit tonangebenden ideengeschichtlichen Denkschule, nicht um eine Weiterführung Hegels geht, zeigt die Übersetzung einiger Schlüsseltexte dieser Schule, die jetzt im Suhrkamp-Verlag vorliegen.

Quentin Skinner, der Gründer der Cambridge School, entwickelt seinen Begriff der Ideengeschichte ausgehend von den Sprachtheorien Wittgensteins und Austins. Skinner zufolge sind politisch-theoretische Texte nämlich zunächst Sprechakte. Das besondere Augenmerk der von Skinner vertretenen Form der Ideengeschichte gilt folglich der Erforschung des jeweiligen politischen Kontextes eines Autors. Dies betrifft zum einen die politische Situation zur Zeit der Abfassung eines Textes und die Analyse des zeitgenössischen Sprach- und Formgebrauchs.

Mit Letzterem beschäftigt sich vor allem Skinners eifrigster Mitstreiter, der Neuseeländer John G.A. Pocock. Das oftmals frappierende Resultat solcher Kontextualisierungen ist die Herausstellung von Autoren, welche im Rahmen der Philosophiegeschichte bisweilen gar nicht oder nur marginal wahrgenommen wurden. Die hohe Relevanz Skinners und seines wissenschaftlichen Umfelds, das außer Pocock noch den Kanadier James Tully umfasst, erschöpft sich nicht in der Anwendung der durchaus geläufigen Methode der Kontextualisierung. Die Protagonisten der Cambridge School suchen auch die Auseinandersetzung mit den postmodernen Denkern Michel Foucault und Jacques Derrida. Foucault hat eine auf Subjekten und deren Intention aufbauende Geschichtswissenschaft als überholt stigmatisiert. Mit seiner „Archäologie“ von diskursiven Feldern und Machtdispositiven propagierte Foucault eine Verabschiedung der Geschichtswissenschaft vom Subjektbegriff.

Pocock entgegnet Foucault, dass der Historiker gerade in der Untersuchung von ehemals lebendigen Sprachpraktiken „kein Archäologe mehr“ sein könne. Skinner hingegen meint zwar schlicht, „dass Texte nun einmal Autoren haben“, gesteht aber durchaus die Berechtigung des Zweifels an der Möglichkeit der adäquaten Interpretation von Autorenintentionen zu. Schließlich relativiert er seine eigene Methodik dahingehend, dass es ihm weniger an der Autorenintention als vielmehr an der Herausarbeitung einer Argumenten innewohnenden „illokutionären Kraft“ gelegen sei.

Von grundsätzlicher Art ist auch David Harlans Kritik an Skinners Methode, die in dem Suhrkamp-Band ebenfalls nachzulesen ist. Mit Derrida und Gadamer entlarvt Harlan die Verortung historischer Autoren in ihrem authentischen Kontext als zum Scheitern verurteilt. Anstatt weiterhin der Illusion der „Rekonstruktion der Vergangenheit“ nachzuhängen, sollte sich „die Zunft der Historiker mit der Lektüre historischer Werke in neuen und ungewohnten Kontexten“ befassen.

Was Harlan dabei seinerseits übersieht, ist, dass es eben keine von ihrem historischen Kontext abgelöste Form eines Textes gibt, die man ohne weiteres auf zeitgenössische Probleme anwenden könnte. Gerade um die Klassiker der politischen Philosophie vor ihrer endgültigen Verkitschung zu bewahren – und damit ihre Relevanz zu retten –, ist die Anwendung der ideengeschichtlichen Methode unerlässlich. Denn nur derjenige, der das konkrete zeitgeschichtliche Anliegen eines Textes wirklich kennt, vermag das in ihm enthaltene Überzeitliche zu deuten.

Bei diesen Worten würde es nun allerdings gerade Skinner schaudern. Dessen Hauptanliegen ist nämlich eine philosophisch letztlich wohl eher kontraproduktive Opposition gegen die Idee einer „überzeitlichen Lehre“. JOHANNES THUMFART

Martin Mulsow und Andreas Mahler (Hg.): „Die Cambridge School der politischen Ideengeschichte“. Suhrkamp 2010, 286 S., 11 Euro