: Das glückliche Ende für Mrs. Shapiro
POINTENBEWUSST Marina Lewycka debütierte erst im Großmutteralter als Romanautorin – und landete mit „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ gleich einen internationalen Bestseller. Mit „Das Leben kleben“ erschien soeben ihr dritter Roman
Die Briten scheinen ein Händchen dafür zu haben, späte Talente zu entdecken. Wie man am Fall der Autorin Marina Lewycka sehen kann, geht dieses Phänomen über singende Handyverkäufer und trällernde Hausfrauen weit hinaus. Lewycka, als Tochter ukrainischer Flüchtlinge nach dem Krieg in Kiel geboren und im Alter von einem Jahr nach England gekommen, wurde mit ihrem Roman „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ vor fünf Jahren berühmt. Da hatte sie bereits eine „lange Karriere als unveröffentlichte Autorin“ hinter sich, wie sie selbst es formuliert. Als ihr erster Roman erschien, war sie fast sechzig.
Obwohl sie zeit ihres Lebens immer Schriftstellerin hatte werden wollen, auch emsig schrieb und ihre Sachen an Verlage schickte, hatte sie es nie geschafft; nur die Absagen stapelten sich. Durch einen Creative-Writing-Kurs, den sie irgendwann belegte, kam Lewycka in Kontakt mit ihrem späteren Agenten. Er las ihren Roman. Der Rest ist Geschichte.
Schweres leichtgemacht
In ihrem sensationell erfolgreichen Roman „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ hat Marina Lewycka Teile ihrer Familiengeschichte verarbeitet. Der alternde Vater der Ich-Erzählerin, ein ukrainischer Emigrant in England, heiratet nach dem Tod seiner Frau ein importiertes ukrainisches Vollweib. Die etwas vulgäre Valentina, fünfzig Jahre jünger als ihr Ehemann, wirbelt eine Menge Staub auf, wodurch in der Folge so erstaunliche wie schockierende Tatsachen aus der Vergangenheit ans Licht kommen. Bereits da bewies die Autorin großes Talent, das Leichte mit dem Schweren zu verbinden. Die Geschichte, die von Alter, Einsamkeit, Krieg und unterdrückten Familiengeheimnissen handelt, ist dabei staunenswert witzig und unterhaltsam.
Mittlerweile ist diese Mischung aus Sozialdrama und Komödie nachgerade zu einer Art Markenzeichen der Autorin geworden. Skrupellos nutzt Lewycka ihr humoristisches Talent, um sozialkritische Themen unter die Leute zu bringen. In ihrem zweiten Buch, „Caravan“, verhandelte sie die Ausbeutung ausländischer Billigarbeitskräfte in Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Ihr neuester, dritter Roman, „Das Leben kleben“, nimmt viele der „Traktor“-Themen wieder auf, packt sie aber am anderen Ende an. Wirklich konsequente Feingeister werden vielleicht ein wenig die Nase rümpfen angesichts vieler üppig aufgetragener komödiantischer Elemente, während die nicht ganz so feinen Geister sich eins kichern.
Dabei ist, wieder einmal, nicht alles so erheiternd, was Georgie – so der Name der Heldin, einer Frau in den besten Jahren, die sich gerade von ihrem Mann getrennt hat – erlebt. Sie lernt eine alte Frau kennen, die gerade die weggeworfenen Sachen im Container vor Georgies Haus durchstöbert. Nach mehreren Stürzen landet die alte Mrs. Shapiro, die ganz allein einen verfallenen viktorianischen Prachtbau bewohnt, in einem Heim – als Opfer einer Intrige habgieriger Zeitgenossen, die versuchen, sich ihr Haus unter den Nagel zu reißen. Georgie ihrerseits beauftragt ausgerechnet einen palästinensischen Handwerker mit Reparaturen am Haus der alten Jüdin.
Auch wenn Marina Lewycka ihre Leser oft zum Lachen bringt, so mag man sie dennoch nicht in einer Schublade mit dem Label „Unterhaltungsliteratur“ sehen. „Literarische Komödie“ trifft es schon eher. Die literarische Komödie als eigenes Genre allerdings gibt es nicht überall. Sie ist aus deutscher Perspektive ein eindeutig angloamerikanisches Phänomen.
Verglichen mit dem grandiosen „Traktor“, in dem Komik und Tragik dicht übereinandergeschichtet lagen, ist „Das Leben kleben“ dann doch eine gute Nummer leichter; ein wenig pointenbewusster, ein wenig glatter. Das in jeder Hinsicht so glückliche Ende ist etwas zu einfach. Wesentlich weiter sollte Mrs. Lewycka diese Entwicklung wahrscheinlich nicht treiben, sonst wird sie doch noch zu diesem Ding, das wir Deutsche Unterhaltungsliteratur nennen. Davon aber haben wir selbst schon genug. KATHARINA GRANZIN
■ Marina Lewycka: „Das Leben kleben“. Deutsch von Sophie Zeitz. dtv, München 2010, 458 S., 14,90 Euro