: Zurück ins Element
Vor über 20 Jahren war Angela Delissen in der Jugendnationalmannschaft der Schwimmerinnen dabei. Danach war Schluss mit Schwimmen, aber nicht für immer: Heute startet die 40-jährige Hamburgerin bei der WM der Masters in San Francisco
von KLAUS IRLER
Wieder ins Wasser zu steigen, das hatte Angela Delissen eigentlich nicht vor. Zumindest nicht in ein Becken, an dessen Rand eine Uhr hängt und in dem die Bahnen strikt voneinander getrennt sind. Wenn Schwimmen, dann nicht auf Geschwindigkeit. Weil klar war, dass sie meilenweit unter den eigenen Bestleistungen bleiben würde: Nie würde sie die Zeiten hinkriegen, die sie mit 16 in der Jugend-Nationalmannschaft geschwommen war. Mit 38 Jahren sind Bestleistungen für den Körper schlicht vorbei.
Angela Delissen ist trotzdem in das Becken gestiegen, es war ein Hotelbecken in Shanghai. Ihr Reisebegleiter wollte sehen, wie eine Rollwende aussieht. Delissen konnte sie noch, und als sie zurück in Hamburg war, fing sie wieder an, zu trainieren, zwei Jahre lang. Heute nun ist sie in San Francisco und wird an der Eröffnungsfeier der Fina World Masters Championships teilnehmen. Das klingt bombastisch, weniger schmeichelhaft könnte man auch sagen: Es geht um die Senioren-WM, und bei der gibt es weder Preisgelder noch Unterstützung von den Verbänden, noch nicht mal Punkte für Schwimmzeiten sind bei den Masters zu holen.
Aber ein Spaziergang wird die Masters-WM nicht. Da gibt es beispielsweise eine Amerikanerin, „die ist auf 200 Meter Rücken zehn Sekunden schneller als ich. Das habe ich mit 17 geschwommen“, sagt Delissen, die in der Altersklasse der 40-Jährigen starten wird. Und sich keine so schlechten Chancen ausrechnet: Ende Juni hat die Hamburgerin noch bei den Deutschen Meisterschaften der Masters in Dresden dreimal Gold geholt. Morgen ist für sie in San Fancisco der erste Wettkampftag und ihr Ziel ist, dieses Jahr noch unter die Top Ten der Weltrangliste der 40 bis 44-Jährigen zu kommen.
Fernsehkameras, Sponsorenverträge, Fototermine – das alles spielt keine Rolle bei diesem Comeback. Überhaupt kennt Delissen auch aus ihrer Zeit in der Jugendnationalmannschaft den Medienhype nicht. Als sie der Nationaltrainer mit 15 Jahren in das Schwimminternat nach Malente holte, war es natürlich Wahnsinn, zu Wettkämpfen nach Japan oder Amerika zu fliegen. „Aber sonst ging es darum, den tollen Trainingsanzug zu kriegen“, sagt Delissen. „Ganz goldig.“ Franzi war noch weit weg Anfang der 1980er.
Aber trainiert wurde trotzdem exzessiv. 1982 wechselte Delissen zurück nach Hamburg in die Mannschaft von Trainer Jürgen Greve und wurde mehrfach Deutsche Mannschaftsmeisterin. 1984 gewann sie Bronze bei den Deutschen Meisterschaften und wusste doch, dass sie nicht mehr will. Das Knie machte Probleme, außerdem gab es diese Lust, zu diskutieren, zu streiten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht in Minunten und Sekunden auszudrücken sind. Delissen organisierte den Absprung über ein Sport-Stipendium an der University of Southern California. Dort studierte sie Sprachwissenschaften für ein Jahr und machte nachher an der Hamburger Uni mit Literaturwissenschaften weiter. Die Eltern hätten gerne eine Bankkauffrau aus ihr gemacht.
Statt dessen trug sie bald Irokesen-Schnitt, diskutierte über Stalinismus im Fachschaftsrat und arbeitet im „Dschungel“, einer fensterlosen Kneipe im Hamburger Schanzenviertel. „Das Schwimmen war abgeschlossene Vergangenheit“, sagt sie. Jetzt ging es um das Leben in der Schanze, die Rote Flora, die Leute und das Lernen – an der Uni bei Professor Klaus Briegleb. Im „Dschungel“ lernte sie, wie man sich durchsetzt, wenn die Gäste nicht gehen wollen.
Mit 34 hört sie als Bedienung auf, in dem Jahr, in dem das erste Theaterstück Premiere hat, das sie zusammen mit der Regisseurin Elisabeth Moll in den Krameramtsstuben zeigt. Der Text ist eine Collage aus Roman-Auszügen von Tankred Dorst und Robert Musil, und aus Passagen von ihr. Der Plan: Das Schreiben zum Beruf zu machen.
Sie schreibt für das freie Radio FSK und legt 2001 mit Texten für eine weiter Theaterproduktion nach. Für eine Produktion der Kompositionsklasse von Younghi Pagh-Paan an der Bremer Hochschule für Künste schreibt Delissen das Libretto, aufgebaut als Collage mehrerer Szenen und aufgeführt im vergangenen Juni.
Aber es ist schwer im Literaturbetrieb, und Delissen sagt: „Ich bin nicht gut darin, aus dem Schreiben einen Beruf zu machen.“ Dafür läuft‘s im Becken. Der Neustart war für Delissen „die Wiederentdeckung eines Mediums und insofern eine ästhetische Erfahrung. Schwimmen hat viel mit dem Gleiten zu tun: „Die Bewegungen müssen sich gut anfühlen und das funktioniert nur mit dem Wasser. Wenn man gegen das Wasser kämpft, hat man schon verloren.“
Zuletzt trainierte Delissen fünfmal die Woche bis zu zwei Stunden am Tag. Ihr alter Kollege Peter Bermel, Gold-Gewinner bei den Jugendeuropameisterschaften 1983, sagt: „Angela trainiert zielgenau und ist dann auf den Punkt X auch fit. Wenn sie sich etwas vorgenommen hat, dann zieht sie das auch durch.“
Das Stück am Bremer Theater hieß übrigens „Unterwegs“ und dem Kritiker der Süddeutschen Zeitung fehlte bei den vielen Einzelteilen die Richtung. Delissen aber kommt gerade vom Krafttraining und freut sich, dass sie auf den Meldelisten der WM auf allen Strecken unter den zehn besten Starterinnen steht. „Man ist im Leben besser, wenn man mehrere Dinge kennt“, sagt sie. „Vielseitigkeit spielt eine große Rolle.“