: Mit dem Hammer auf den Spiegel hauen
Wenn der Politkünstler sein Riesenbanner auf 16 Quadratmeter quetschen muss: Ein ganz normales Esszimmer bespielen zwei Hamburger Kuratorinnen in ihrem Projekt „Innenausstattung“ mit Installationen, die zwischen Öffentlichkeit und Privatheit changieren
Die Idee ist nicht gänzlich neu, das konkrete Konzept aber durchaus: Als Umkehrung des Schlachtrufs „Das Private ist öffentlich!“ verstehen die Hamburger Kuratorinnen Janneke de Vries und Kerstin Stakemeier ihr im Juni begonnenes Projekt „Innenausstattung“. Es verortet sich zwischen White Cube und Privatwohnung und soll prüfen, wie weit Privaträume zur Produktions- und Präsentationsstätte von Kunst werden können.
Ihr Esszimmer hat de Vries, ab September Leiterin des Braunschweiger Kunstvereins, für das Projekt zur Verfügung gestellt und gleich mit der Auflösung der Grenzen begonnen. Denn ihren Esstisch hat sie nicht aus dem Zimmer entfernt – ein Möbelstück, mit dem sich die Künstler, die den Raum in vier Sequenzen bespielen, auseinandersetzen müssen. Auch die zartblauen Wände hat sie nicht geweißt. Keinesfalls soll das Zimmer dem White Cube der klassischen Ausstellungssituation gleichen.
Auch zeitlich verfließen die Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem. Denn die Ausstellung ist nur zu bestimmten Zeiten zu besichtigen. Welchen Status hat der Raum während der Zwischenphasen? Ein Atelier ist es nicht, ein Esszimmer ist es nicht, auch kein Provisorium. Ein Kunstraum in Warteposition, Nachhall des Vergangenen und Ahnung des Kommenden vielleicht. Und ein Zimmer, das – etwa durch die Anwesenheit persönlicher Gäste – jederzeit wieder privat werden kann.
Ein Thema, mit dem sich auch die eingeladenen Künstler beschäftigen. Am augenfälligsten tut dies die Textilkünstlerin Ruth May, die eine traditionell in Privaträumen geübte Tätigkeit – das Besticken von Stoffen – öffentlich macht und mit kunsthistorischer Tradition verknüpft: Ein Barockporträt Ludwig XIV. hat sie für „Innenausstattung“ auf bunten Stoff gestickt. Während der Öffnungszeiten hängt das Banner vom Balkon der Wohnung. Und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit funktioniert – jüngst erst sind Nachbarn „offiziell“ vorbeigekommen, um zu schauen, was sich dort tut.
Verbissen oder voyeuristisch sind die Installationen indes nicht: Drei Videoarbeiten zieren derzeit das Esszimmer, Fenster zu fremder Privatheit. Sie lassen den Porträtierten stets ihre Würde. Die Schwedin Annika Ström etwa hat ihre selbstvergessen durch die Wohnung tanzende Mutter gefilmt. Der Berliner Peter Wächtler hat seinen Onkel, einen im Mittelmaß zufriedenen Selbstständigen, zwei Tage lang begleitet. Und der polnische Künstler Cezary Bodzianowski zeigt ein Video, auf dem er in seiner Wohnung belanglosen Trödel zum Verkauf auf der „Art Basel“ zusammensucht. Einschließlich eines Spiegels, den er auch mit dem Hammer nicht zertrümmern kann.
Auf Spiegelungen und Brechungen von Privatheit zielt das Konzept der Schau. Doch der Horizont reicht weiter: Als dokumentarische Verdichtung ehemals öffentlicher Kunst versteht sich die Mitte August beginnende Etappe, die sich dem New Yorker Politkünstler Gregory Sholette widmet. Ausschließlich im öffentlichen Raum hat er bislang gewirkt. Er ist Mitglied zweier politisch-künstlerischer Vereinigungen, die unliebsame historische Tatsachen ausfindig machen und unter anderem den ehemaligen New Yorker Sklavenmarkt kenntlich machten.
Banner, Poster und Texte sind von solchen Aktionen geblieben. Einige von ihnen werden ab Mitte August die de Vries‘sche Wohnung zieren. Eine fast gewaltsame Rücknahme des Öffentlichen ins Private – wobei der Künstler selbst keineswegs als Privatier präsentiert wird. Als künstlerischer Produzent wird er vielmehr zutage treten in einem Raum, der 16 Quadratmeter misst und das Absurde sinnlich macht: im Versuch, Öffentliches ins Private zurückzuziehen und eventuell daran zu scheitern.
Der Privatraum als Gruft des Öffentlichen? Als temporäres Vakuum? Oder als Archiv, in dem sich Freiluft-Gegenstände vergangener Politkunst-Aktionen nicht recht wohl fühlen? Der Besucher wird es selber spüren.
Petra Schellen