: Verlegenheit ist eine Form von Trauer
Ich bin tot und du hältst meine Hand– wie fühlt sich das an? In ihrem Stück „Klaus ist tot“ (in den Sophiensælen) macht die Choreografin Hannah Hegenscheidt das Sterben auf Probe möglich. Sich ohne Pathos der Trauer nähern
Bricht sie jetzt gleich lautlos weinend zusammen, die Zuschauerin auf dem Nebensitz? Das Stück mit dem Titel „Klaus ist tot“ lässt mit allem rechnen.
„You killed me somehow“, errät ein Tänzer aus dem, was seine Kollegin ihm gerade pantomimisch sagen wollte. Irgendwie hast du mich gerade umgebracht. Dieses halb flapsige, halb erschrockene „somehow“ trifft die Stimmung des Stücks ganz gut. Fünf Tänzer und Tänzerinnen sterben innerhalb einer Stunde ein gutes Dutzend Mal: an Krankheiten, aus Verzweiflung, im Affekt. Wenn sie unzufrieden mit der Situation sind, wiederholen sie den Vorgang einfach.
Ich muss an den Tänzer Pichet Klunchun denken, der demnächst auf dem Festival „Tanz im August“ zu sehen sein wird und einmal erzählt hat, dass auf thailändischen Bühnen nicht gestorben wird, weil man befürchtet, dass das Unglück bringt. Der Tod kommt in allen Gesellschaften gleichermaßen vor, aber gerade in unserer wird er vielfach tabuisiert. Die Choreografin Hannah Hegenscheidt, in Berlin und New York zu Hause, reflektiert Sterben, Tod und Trauerrituale in ihrem ersten abendfüllenden Stück „Klaus ist tot“ in den Sophiensælen überraschend unbeschwert. Naheliegendes Pathos hat sie auf ein Mindestmaß reduziert, indem sie immer wieder Probensituationen schafft, die dem Thema eine verspielte Leichtigkeit verleihen.
Ein Mann schaut auf eine Waldtapete. In einer Haltung, als säße er an einem Sterbebett, wendet er sich damit vorübergehend von der Aufführung ab. Eine Frau hält die Hand ihres Partners, der wie tot auf dem Boden liegt. Dann tauschen sie. Mal sehen, wie sich das anfühlt.
Wie schon in ihren kürzeren Stücken vertraut Hannah Hegenscheidt nicht allein auf die Wirkung des Tanzes, sondern greift auch auf andere Mittel, Lieder und Dialoge zurück, die je nachdem berühren, zum Schmunzeln oder Nachdenken bringen. Kommuniziert wird eigentlich ständig, miteinander und gegeneinander, alles verkomplizierend, lobend und attackierend, sprachlich, pantomimisch, tänzerisch. Wenn dann plötzlich alle Tänzer gleichzeitig zur Ruhe kommen, wirkt das Schweigen umso elementarer: als Ausdruck von Unbehaglichkeit im Umgang mit dem Sterben oder in Form aufrichtiger Trauer.
Die ständige Kommunikation wird dadurch als hilfloser Versuch, mit dem Unerträglichen klarzukommen, gewertet. Situationen, in denen jeder auf sich gestellt ist, erweisen sich als peinliche Momente. Gut beobachtet sind die gestischen Floskeln, mit denen versucht wird, die eigene Unsicherheit zu überspielen, sich ja keine Blöße zu geben.
Hanna Hegenscheidt fragt offen nach den individuellen Verarbeitungs- und Verdrängungsmechanismen in einer Gesellschaft, die ihre Trauerrituale scheinbar erfolgreich in akkurat abgesteckten Friedhöfen und Leichenschmausgaststätten kanalisiert hat. Da unterzieht sich Martin Clausen, bekannt aus der Gruppe „Two Fish“, einer Art von Therapie, in der er sich entspannen und alle Blockaden fahren lassen soll, aber es gelingt ihm nicht: Statt zur Ruhe zu kommen, verkrampft er sich und fährt seinen Therapeuten aggressiv an. An Situationen zurückzudenken, in denen man mit dem Tod konfrontiert war, ist eben nicht selten mit Widerständen verbunden, mit einem schlechten Gewissen etwa, weil man einen Abschied versäumt hat.
Der Umstand, mit seinen Gefühlen allein zu sein, scheint besonders schwer erträglich: Wenn jeder Tänzer plötzlich auf sich selbst gestellt ist, werden über scheue Blicke, zaghafte Knuffe in die Seite schnellstens wieder Annäherungsversuche unternommen. Das bringt Erleichterung.
Und noch ein Aufatmen: Die Frau auf dem Nebensitz hat doch keinen Zusammenbruch erlitten, sondern einfach nur verliebt auf ihre schönen, neuen Schuhe geblickt. ASTRID HACKEL
„Klaus ist tot“, Sophiensæle, 4.–6. August, 20 Uhr