: „Was war ich nervös!“
GOLF Martin Kaymer, ein 25-jähriger Mann aus Mettmann, gewinnt sein erstes Major-Turnier und gibt seinem Sport im Land der skifahrenden Scharfschützen ein neues Gesicht
VON BERND MÜLLENDER
Am Sonntagabend Mitteleuropäischer Zeit, kurz vor Mitternacht, hatte er an Loch zehn die Führung durch einen spektakulären Putt aus fast zehn Metern auf zwei Schläge ausgebaut. Doch Martin Kaymer, 25, ist keiner, der dann Faxen macht oder extrovertiert jubelt. Eher schien er erschrocken über das, was sich da anbahnte: Für einen Moment nahm er die Zunge zwischen die Lippen wie ein kleiner Junge beim hochkonzentrierten Buchstabenmalen und biss danach mit den Zähnen auf die Unterlippe. Verlegenheitsgesten statt Machogetue. Äußerlich kühl ging er weiter. Alles Camouflage: „Was war ich nervös da draußen“, sagte er nachher.
Das mausbeige Hemd auf der Schlussrunde der US PGA Championships in Whistling Straits in Kohler, Wisconsin, sollte ihn unsichtbar machen, den jungen Kerl mit dem Konfirmandengesicht. Nur wenige hatten ihn vorher auf der Rechnung. Aber jetzt war er im Fokus. Und kaum hatte Kaymer den Triumph vor Augen, begann der so konzentrierte und versammelte Mr. Übercool Fehler zu machen wie all die anderen zuvor. Der nächste Abschlag und noch einige danach gehorchten nicht mehr. Notschläge mussten her. An der langen elf rettete er ein Par fünf, ohne das Fairway zu berühren. An der zwölf schob er einen Putt aus kaum 1,50 Meter vorbei am Loch. Die anderen machten weniger Fehler und holten auf.
Das vierte und letzte große Major an den Steilküsten des Lake Michigan war eine Viertageschlacht, die an Dramatik und Kuriositäten kaum zu überbieten war. Am vorletzten Loch hatten zehn Spieler eine Chance auf den Sieg, zwei blieben schließlich mit „elf unter“ übrig für das Stechen, Kaymer und der US-Amerikaner Bubba Watson. Ein besonderes Missgeschick war dessen Landsmann Dustin Johnson passiert: Er führte mit einem Schlag als Letzter am Schlussloch, hatte den Sieg in der Hand und berührte vor lauter Nervosität den Sand in einem der 1.200 Bunker vor dem Schlag. Das ist im strengen Golf ein strafwürdiges Vergehen, kostete zwei Strafschläge und ihn zumindest das Stechen. „Wie eine Shakespeare-Tragödie“, sagte der fassungslose Kommentator des Fernsehsenders CBS.
Kaymer gewann am dritten Extraloch. Auch hier: keine Jubelsprünge, nur eine geballte Faust und ein breites Lächeln. Es war ein Sieg mit einiger Bedeutung. Mit 25 Jahren eines der vier Majors zu gewinnen ist ein sensationeller persönlicher Erfolg und die bisherige Krönung eines steilen Aufstiegs in die Weltklasse. Außer Bernhard Langer (zwei Siege bei den Masters in Augusta vor langer Zeit) hat das noch kein Deutscher geschafft. „Ich bin doch erst vier Jahre dabei“, sagte Kaymer, „und habe schon mein erstes Major gewonnen. Es gibt nichts Größeres.“ Die Formulierung „mein erstes Major“ hatte eine coole Botschaft: Ich hab da übrigens noch einiges mehr vor.
Tiger Woods ist derweil nur noch ein Schatten seiner selbst. Am Sonntag dilettierte er mit seinen Abschlägen zuschauergefährdend kreuz und quer und verzweifelte, dass selbst die alte Magie beim Putten verloren war. Der hochgerechnet 120-fache Ehebrecher, frenetisch unterstützt von einem Großteil des Publikums, kämpfte mit jedem Schlag darum, seine Weltranglistenposition eins gegen Phil Mickelson zu verteidigen. Woods wurde 28. und bleibt um Zehntelpunkte auf der Pole Position – noch. Seit 613 Wochen ist er nun ganz oben, mit einer kleinen Pause vor fünf Jahren.
Martin Kaymer schnellte in der Weltrangliste von Position 13 auf fünf. Wichtiger für ihn: „Ich bin sehr stolz, dass ich jetzt sicher im Ryder Cup dabei bin.“ Der Erdteilkampf Amerika gegen Europa, der Anfang Oktober in Wales stattfinden wird, ist das Megaereignis für jeden Schlägerschwinger und nach Olympischen Sommerspielen und Fußball-Weltmeisterschaften das – gemessen an Fernsehzuschauerzahlen – weltweit wichtigste Sportereignis überhaupt.
2018 möchte Deutschland erstmals den Ryder Cup austragen, in Neuburg an der Donau. Kaymers Sieg könnte dem Projekt jetzt den entscheidenden Schub geben: Bislang fehlt noch die richtige Anschubfinanzierung und eine 9-Millionen-Euro-Bürgschaft. Die Bundesregierung zögert – noch. Bernhard Langers Bruder Erwin ist federführend am Ryder-Cup-Deal beteiligt. „Der Sieg hilft uns massiv“, sagte er gestern euphorisch, Deutschland erscheine nun wieder „auf der Golf-Weltlandkarte“. Vor allem hat das Land wieder ein Golfgesicht, zudem ein sympathisch-frisches.
Ob die Begeisterung in Deutschland groß sei, wurde Martin Kaymer gefragt, als er den monströsen Silberpokal gerade abgesetzt hatte. „Keine Ahnung, ich habe ja noch nicht mal kapiert, wie groß das hier für mich ist.“ Die Deutsche Presse-Agentur dpa brauchte in der Nacht fast eine Stunde für die erste Siegmeldung. Deutschland steht halt mehr auf skifahrende Scharfschützen und Radeldoper. Aber Dinge können sich ändern. In China gab es vor 25 Jahren noch keinen einzigen Golfplatz, jetzt gelang Wen-chong Liang beim Spektakelturnier in Kohler, Wisconsin, mit 64 Schlägen ein neuer Platzrekord.