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Archiv-Artikel

Das Theater mit den Regenjacken

Jetzt habe ich schon drei Regencapes aus hauchdünnem Plastik, eingeschweißt in ein Tütchen. Der Grund ist: Ich bin ein Fan des Theaters open air, im Park oder auf urbanen Brachflächen. Die Capes werden ausgegeben, weil man trotz tief verhangener Himmel auf jeden Fall spielen möchte. Geschlossen sind meine Tütchen, weil es dann doch trocken blieb.

Manchmal frage ich mich, warum tue ich mir das an: Weite Anfahrtswege auf mich nehmen mit der Ungewissheit, ob nicht wegen Gewitters doch alles abgesagt wird. Eben wegen der Himmel und der Weite. Als ob die Tiefe der Perspektive, durch die sich die Schauspieler bewegen, zugleich auch tiefere Räume in der Erinnerung öffnen könnte. Noch heute erinnere ich mich an eine japanische Tänzerin, die in Berlin früh um fünf neben der Ruine einer Kirche Laub aus ihren Kimonoärmeln rieseln ließ. Und weil die Weite die Wahrnehmung verändert: Die pornografischen Szenen, die das Grazer Theater im Bahnhof auf einem Acker weit weg von der Zuschauertribüne spielte, waren der witzigste Umgang mit Voyeurismus, der mir je unterkam. Und manchmal schafft die Entfernung, wie bei der niederländischen Regisseurin Lotte van der Berg, Befremdung und wir sehen den Leidenschaften und Morden dahinter zwischen den Abfallhalden zu, als wären wir aus aller Zivilisation herausgefallen.

Im Schlosspark von Neuhardenberg, 50 Kilometer östlich von Berlin, lädt eine Kulturstiftung einmal im Sommer zum Theater ein: Da haben Martin Wuttke und Jonathan Meese diese Freiräume der Gedanken genutzt und mit Texten von Friedrich Nietzsche und Rolf Dieter Brinkmann auf Teichen und unter Bäumen ein wildes Theater angezettelt, verliebt in die Romantik des Orts und selbstironisch mit den Attitüden des Künstlertums spielend. Dafür nahm ich gerne feuchtes Gras um die Knöchel, Mücken und das Mitschleppen von Wolldecken in Kauf.

So bin ich dieses Jahr wieder hinausgepilgert, zu „Fräulein Julie“ in Starbesetzung (mit Sylvester Groth und Libgart Schwarz), in der Regie von Armin Holz. Doch dieses Mal saß man mit dem Rücken zum Park, die Schlossfassade diente als Kulisse und das Theater schrumpelte einfach zurück ins normale Format. Man sah eine diffuse Inszenierung, die etwas ältlich und verklemmt an Szenen der Hysterie vorbeischrammte. Ach, hätte es doch gedonnert in diese Seichtheit hinein und das Knistern von hunderten von Regencapes das Kunstwollen milde zugedeckt. KATRIN BETTINA MÜLLER