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MARTIN UNFRIED ÜBER ÖKOSEXMÜLHEIM-KÄRLICH HAT EINE TOLLE REAKTORBIOGRAFIE. DIE VON BIBLIS A UND PHILIPPSBURG IST VERBESSERUNGSWÜRDIGUnterwegs auf dem Atomradweg

Die Fünftagevorschau | Kolumne@taz.de

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In meiner niederländischen Heimat haben alle sportlichen jungen Männer über 40 eine Rennmaschine. Gesellschaftlich anerkannt ist, dass wir uns in bunten Farben kleiden und schicke gepolsterte Hosen tragen, die das männliche Geschlecht betonen. Ich habe diese Landestradition gern übernommen.

Letzte Woche hatte ich genug vom grauen ökologischen Alltag, von Umweltverordnungen und Energiespargedöns. Ich wollte einfach nur fietsen und mal an gar nix denken. Also fuhr ich mit meiner 30-Gang-Schaltung (Ultegra) von Maastricht rüber nach Aachen. Unterwegs sinnierte ich über das Fehlen einer direkten Bahnverbindung und dass man da mal was machen sollte. Aber ich hatte ja Urlaub! In Aachen nahm ich dann heiter den Zug nach Bonn am Rhein. Dort verläuft der legendäre Rheinradweg, der mich bis nach Karlsruhe führen sollte. Mein großes Ziel: die Gänge hoch- und das Gehirn abschalten. Doch fahre ich bei strahlendem Sonnenschein am Rhein entlang, stehen da der Lange Eugen und der alte Bundestag. Wie jeder weiß, ist Bonn Sitz der Vereinten Nationen, also kam ich blöderweise am Klimasekretariat vorbei. Natürlich musste ich dann die nächsten 50 Kilometer intensiv an die anstehenden Post-Kioto-Verhandlungen denken. Die Gesellschaft, dachte ich, beim Anblick vom Siebengebirge beim Kaffee in Rolandseck, sie muss doch endlich mal was machen! Und Röttgen? Der Rheinradweg ist übrigens toll und führt zwischen Bonn und Bingen herrlich direkt am Fluss entlang. Vor Koblenz dann die Megaüberraschung. Steht da plötzlich ein abgeschaltetes Atomkraftwerk in der Sonne und strahlt mich an. Es ist Mülheim-Kärlich, mein absoluter Lieblingsreaktor. Dieses Teil wurde im September 1988 nach nur knapp zwei Jahren im Probe- und genau 100 Tagen im Regelbetrieb aufgrund einer richterlichen Entscheidung vom Netz genommen! Wegen verpfuschter Baugenehmigungen. Schöner kann die Biografie eines AKWs doch gar nicht sein. Ganz gelöst schlief ich für 38 Euro mit Frühstück im Schatten des Atoms im Hotel Zur Kripp. Am Morgen weiter in Richtung Mainz. Hintern okay.

Überraschung in Mainz: Dom schön, Radwege lausig. Da müsste man mal was machen. Ach, Urlaub! Nach rund 300 Kilometern Fietsen kam dann der Höhepunkt: Das aktive AKW Biblis tauchte plötzlich aus dem Nichts auf. Im September 2006 beantragte, wie jeder weiß, RWE die Übertragung der Reststrommenge des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich auf den Reaktor Biblis A. Das hatte aber das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig abgelehnt. Was macht jetzt Brüderle? Wieder schlief ich in einer Pension im Schatten der Kühltürme. Diesmal eher schlecht. Wegen Atom (und Hintern).

Unbewusst war ich auf einem Atomradweg gelandet. Philippsburg am nächsten Tag kurz vor Karlsruhe war dann schon Routine. Block 1 sollte eigentlich 2011 stillgelegt werden, aber was macht Angela Merkel? Bei Philipsburg begann es zu regnen, und es hörte bis Karlsruhe nicht mehr auf. Merke: Im Kampf gegen die Atomenergie und auf dem Rennrad scheint nicht immer die Sonne, und es tut einem manchmal der Hintern weh.

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