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Archiv-Artikel

Wolfsburg den Wolfsburgern

Der niedersächsische Wahlkampf aus der Nähe betrachtet (II): In Wolfsburg liefern sich die Parteien ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Auto oder Wohlfühlstadt – und fragen sich, wo ihre Ratsherren überhaupt wohnen

Wolfsburg ist die Stadt, in die Hannoveraner am Wochenende fahren, um sich die Autostadt, das Wissenschaftsmuseum Phaeno oder italienische Theaterstücke anzuschauen. Dass in dem akribisch-sauberen Ort auch Menschen wohnen, fällt dabei den wenigsten auf.

Dass in Zukunft nicht nur Geld in den Tourismus investiert wird, fordern nun die Wolfsburger SPD und die Parteipolitisch Unabhängige Gemeinschaft (PUG). Ihrer Meinung nach ist es an der Zeit, Wolfsburg „nicht nur für Auswärtige attraktiv zu gestalten, sondern eine ‚Wohlfühlstadt‘ für alle in Wolfsburg lebenden Menschen zu gestalten“. Die CDU, bisher stärkste Kraft im Wolfsburger Stadtrat, plant dagegen keine Abweichung vom Kurs. Nicht zuletzt durch die zahlkräftigen Besucher stagnierten seit Beginn der Legislaturperiode die Schuldenberge der Stadt – immerhin 180 Millionen Euro. Andererseits führte das nach wie vor fahle Ambiente rund um die zentrale Porschestraße dazu, dass zahlreiche Wolfsburger in den vergangenen Jahren abwanderten.

CDU-Bürgermeister Rolf Schnellecke, der von sich und VW gerne als „Wir“ spricht, wurde 2001 mit absoluter Mehrheit gewählt. Der Mitgesellschafter einer Spedition kann sich auch am 10. September gute Chancen ausrechnen. Dabei schickt die SPD die ehemalige niedersächsische Kultusministerin Renate Jürgens-Pieper (SPD) ins Rennen. Die gebürtige Braunschweigerin will sich für mehr Ausbildungsmöglichkeiten einsetzen – eine Forderung, die sich auch direkt an den größten Arbeitgeber VW richtet. Noch heute ist die Arbeitslosigkeit unter den Nachkommen der ehemaligen „Gastarbeiter“ doppelt so hoch wie in der deutschen Bevölkerung. Für die Rechte der vielen Wolfsburger Migranten streiten in der SPD Politiker mit so klangvollen Namen wie Immacolata Caravetta Glosemeyer oder Antonio Zanfino, die Grünen verfassen ihr Wahlprogramm sogar auf Deutsch und Italienisch. Dass von Integrationsmängeln heute allerdings eher 1.200 tunesische Migranten als Italiener in der dritten Generation betroffen sind, übersehen viele.

Linkspartei und WASG treten in Wolfsburg als Wählergemeinschaft Wolfsburger Linke an. Das Bündnis will in Zukunft mit mehr als einem Ratsherrn im Stadtrat vertreten sein und stellt sogar einen eigenen Bürgermeisterkandidaten.

In der vergangenen Woche sorgte SPD-Ratsherr Sabah Enversen für Zwist in den eigenen Reihen: Obwohl er im Ortsteil Wolfsburg Mitte wohnt, kandidiert er für Wolfsburg Mitte-West. Von einer Kandidatur auf legalem Wege trennt Enversen ein Kilometer. Kurzerhand meldete er seinen ersten Wohnsitz in seinem Elternhaus (Mitte-West) an. Das wiederum fanden Parteigenossen „unmoralisch“. Der Ratsherr selbst nahm die Diskussionen gelassen: „Es ist doch Wumpe, wo ich wohne.“ JESSICA RICCÒ