Große Kunst kann blutleer sein

Im Alter von 90 Jahren ist die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf gestorben. Die Schallplatte machte sie zum Star

Sie war schön, intelligent, selbstsicher. Notwendigerweise besaß sie Ehrgeiz und Perfektionsdrang. Und dann sang sie so beseelt, dass ihr das Publikum zu Füßen lag: die in den englischen Adelsstand erhobene deutsche Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf. Sie debütierte als Blumenmädchen im „Parsifal“ von Richard Wagner 1938 an der Berliner Staatsoper. Mit der Zerbinetta in der „Ariadne“ von Richard Strauss erzielte sie 1941 in Berlin den „Durchbruch“ in die vordere Reihe. Ob als Rosina in Rossinis „Barbier“ oder als Gilda in Verdis „Rigoletto“, ob als Fiordiligi, Pamina oder Gräfin bei Mozart: sie erwies sich als Leistungsträgerin des Opernbetriebs und verstand gewaltige Beifallsstürme zu mobilisieren. In vielen großen Rollen war „die Schwarzkopf“ mit ihrem hellen, hohen Sopran zu erleben: oft fragil und demonstrativ künstlich wirkend, enorm flexibel allemal, demonstrativ schlicht oder virtuos in den Koloraturen. Auch – im Laufe der Jahre – mit einer gewissen Wärme, die sich bei dieser Stimme am Anfang weniger einstellen wollte. Es weht ja kühl dort oben, wo sie sich durchsetzte.

Elisabeth Schwarzkopf, 1915 in Jarotschin in der Provinz Posen geboren und preußisch erzogen, stilisierte die Frauengestalten der Bühne, die andere mit Fleisch und Blut zu erfüllen trachten, zu Kunst-Figuren. Darin erschien sie konsequent modern. Was weit weniger für das Repertoire galt, das sie durchmaß – über den „klassisch-romantischen“ Fundus ist sie nur einmal hinausgekommen, als sie 1951 in Venedig die Uraufführung von Igor Strawinskys „Rake’s Progress“ sang.

Auch als Liedersängerin stand für sie das deutsche Repertoire, vornehmlich des 19. Jahrhunderts, im Zentrum der künstlerischen Arbeit, zu der sich anfangs Wilhelm Furtwängler als Klavierbegleiter gesellte, dann Gerald Moore als getreuer Korrepetitor. Sogar Glenn Gould hat mit ihr musiziert: die „Ophelia-Lieder“ von Richard Strauss. Deren Fragilität verstand sie ebenso fulminant hervorzuheben wie die Faszination einiger Operetten-Partien von Franz Léhar und Johann Strauß: Artefakte auch die von ihr im Feld der leichteren Muse gestalteten, ja: gestylten Frauen-Figuren.

Ihr Wille zu Schönheit und Ruhm war unbändig. Die große Chance eröffnete sich ihr, als sie 1946 dem Plattenproduzenten Walter Legge begegnete. Da trafen zwei Perfektionisten aufeinander. Er holte sie aus dem zerstörten Berlin nach London, schulte sie im Hinblick auf die sich abzeichnenden Möglichkeiten des expandierenden und sich ästhetisierenden Mediums. So wurde aus einer sehr guten Sopranistin eine überragende Sängerin. Sie wurde „Her Master’s Voice“.

Schon vor Legge hatte sie ihrer Karriere mit Verbindungen zu einflussreichen und mächtigen Männern nachgeholfen. Ohne Protektion durch Nazi-Größen wäre ihr Aufstieg im Berlin der späten Dreißigerjahre nicht denkbar gewesen. Mehr als die Tatsachen selbst wurde ihr gegen Ende ihres Lebens übel genommen, dass sie nach dem Krieg die Verstrickungen strikt leugnete, wiewohl sie hinsichtlich ihres Repertoires – Mozart, Strauss, Wagner vor allem – so wenig Korrekturbedarf sah wie beim Outfit, das noch lange an das der Reichsparteitags-Ehrenjungfrauen erinnerte.

Indem Alan Jefferson Mitte der Neunziger medienwirksam die braunen Flecken in der frühen Biografie von Elisabeth Schwarzkopf anprangerte, nutzte er nicht nur die Gunst einer fortdauernden britischen Konjunktur, sondern erwies der Künstlerin, um die es so still geworden war, einen großen Gefallen: Er rief, als die Erinnerung verblasste, die kühle Schönheit verlorener Zeit ins Gedächtnis. Eine marmorne Schönheit, die den Ästheten als vergleichsweise dauerhaft gilt, den Freunden des kräftigen Lebens und einer auch aus diesem resultierenden Kunst aber als unfruchtbar. Elisabeth Schwarzkopf avancierte recht einsam zu einer deutschen Größe, als dieser Begriff in Verbindung mit Deutschland schon obsolet erschien. Nicht zuletzt aus der Widersprüchlichkeit ihrer Künstlerschaft leitet sich der Rang her, der dieser Stimme fortdauernd zukommt.

In der Nacht zum Mittwoch ist sie im österreichischen Vorarlberg verstorben.

FRIEDER REINIGHAUS