„Die Bedrohung lag damals spürbar in der Luft“

DOKUMENTE Corneliu Porumboiu ist einer der Begründer des neuen rumänischen Kinos. Ein Gespräch über „Al doilea joc“ (Forum) und die Manipulation der Zuschauer

geboren 1975 in Vaslui, Rumänien, war dreizehn Jahre alt, als sein Vater die Partie zwischen Dinamo und Steaua Bukarest leitete. Mit 31 Jahren gewann er mit seinem Regiedebüt „12:08 – Östlich von Bukarest“ die Goldene Kamera auf den Filmfestspielen von Cannes. „Police, Adjective“ gewann 2009 in Cannes den Preis der Jury in der Sektion Un Certain Regard. Porumboiu zählt zu den Begründern des neuen rumänischen Kinos, das sich mit dem gesellschaftlichen Erbe des kommunistischen Regimes auseinandersetzt. „Al doilea joc“ ist sein erster Dokumentarfilm.

INTERVIEW ANDREAS BUSCHE

taz: Herr Porumboiu, am Anfang von „Al doilea joc“ erwähnen Sie in einem Textinsert eine Episode aus Ihrer Kindheit: Ein anonymer Anrufer bedroht das Leben ihres Vaters. Waren die Spiele zwischen Steaua und Dinamo Bukarest, die Ihr Vater als Schiedsrichter leitete, für Sie die ersten Erfahrungen, in denen sich das Politische und das Private berührten?

Corneliu Porumboiu: Das würde ich so nicht sagen. Dieses latente Gefühl von Bedrohung lag damals spürbar in der Luft. Meine Eltern haben mir schon in jungen Jahren eingetrichtert, nicht über das, was in unseren vier Wänden gesprochen wurde, mit anderen zu reden. Es gab in jeder Hausgemeinschaft diese eine Person, von der jeder wusste, dass sie für die Polizei arbeitete. Aber der Anruf hat mich, damals war ich etwa zehn, natürlich geschockt. Plötzlich wurde die Bedrohung konkret.

Ich frage, weil Sie diese Erinnerung ihrem Film voranstellen. War der Anruf ein Grund, sich noch einmal mit einem Fußballspiel zu beschäftigen, das Ihr Vater als „bloß ein weiteres Steaua-Dinamo-Spiel im Schnee“ bezeichnet?

Nein, es ging mir in erster Linie um das Spiel selbst. Im Fernsehen hatte ich mal in einer Sportsendung, die historische Fußballspiele wiederholt, ein paar Minuten der Begegnung gesehen. Das hatte meine Neugier geweckt. Mein Interesse hat aber sicher auch mit Schnee zu tun. In „Die Autobiografie von Nicolae Ceausescu“ von Andrei Ujica gibt es ebenfalls eine Szene aus den achtziger Jahren im Schnee, die mich sehr berührt – weit mehr als die historischen Aufnahmen aus den sechziger Jahren, die Andrei in seinem Film verwendet. Aus irgendeinem Grund assoziiere ich die Atmosphäre dieser Bilder mit meiner Kindheit: den Schnee, die Videoqualität.

Wann wussten Sie, dass Sie daraus einen Film machen würden?

Ich wusste zunächst gar nicht, was ich mit dem Spiel machen sollte. Es hätte genauso gut als Recherchematerial für meinen nächsten Spielfilm enden können. Ich wollte es einfach noch einmal zusammen mit meinem Vater sehen. Ich hatte das Spiel als Kind gar nicht richtig verstanden.

Dem Zuschauer ergeht es heute ähnlich. Aber dann beginnt Ihr Vater das Spiel zu erklären. Die Einflussnahme der politischen Institutionen, die Funktion der Kameraregie während der Rangeleien auf dem Feld, die Konkurrenzsituation zwischen den Fußballklubs Dinamo und Steaua.

Anfangs wollte ich einen politischen Film machen, aber je mehr ich mich auf das Spiel einließ, desto größeren Gefallen fand ich an dem sportlichen Aspekt der Begegnung. Diese Art von Fußball sieht man heutzutage in den Stadien – oder im Fernsehen – nicht mehr. Sie besitzt eine ganz eigene Schönheit. Dazu kommen die äußeren Faktoren: die politischen Machtkämpfe, der schlechte Zustand des Spielfelds, der viele Schnee. An einem bestimmten Punkt wird das Spiel zu einem absurden Ballett.

Man merkt an Ihrem Film auch noch einmal, wie sehr sich der Fußball durch die Medialisierung verändert hat. In „Al doilea joc“ gibt es zum Beispiel kaum Close-ups auf die Spieler. Es dominiert die Totale, was dem Fernsehzuschauer einen viel besseren Überblick verschafft.

Das ist mir erst später bewusst geworden. Die Bildregie manipuliert den Fernsehzuschauer heutzutage regelrecht, das Spiel wird dadurch stark emotionalisiert. Diese alten Fernsehübertragungen verfügen noch über eine reine Geometrie, die ich sehr schätze und die ich auch in meinen Spielfilmen bevorzugt verwende. So streift der Film letztlich ganz unterschiedliche Themen. Fußball ist heute ein gesellschaftliches Phänomen, und gleichzeitig erzählt der Film dabei etwas über uns, Vater und Sohn.

Haben Sie sich als Kind öfter mit Ihrem Vater über Fußball unterhalten?

Ja, ich bin mit dieser Fußballkultur aufgewachsen. Ich habe als Kind und später als Teenager selbst im Verein gespielt. Fußball ist also in unserer Familie schon immer ein Thema gewesen. Aber normalerweise verliefen unsere Diskussionen nicht so friedlich wie in „Al doilea joc“. Gewöhnlich haben wir uns dabei in den Haaren. Für den Film musste ich mich darum etwas zusammenreißen.

Man merkt das, wenn Sie Ihren Vater für die laxe Auslegung der Vorteilsregel rügen. Er erklärt daraufhin aber sehr anschaulich seine persönliche Schiedsrichtertheorie.

Dieser Punkt war mir sehr wichtig, weil ich mich als Filmemacher oft in einer ähnlichen Rolle wiederfinde – mit meinen Charakteren. Mein Vater und ich sind uns da sehr ähnlich. Er hat sich auf seine Spiele immer gewissenhaft vorbereitet. Er hat sich vor jedem Spiel mit einem Video in einen dunklen Raum gesetzt, wie im Kino, und die einzelnen Spieler studiert. So konnte er ihre Reaktionen und Temperamente antizipieren und sich entsprechend auf sie einstellen. Mein Vater sah sich auf dem Platz eher als Moderator, nicht als Richter. So formuliert er es ja auch im Film.

Am 3.Dezember 1988 treffen im Nationalstadion von Bukarest der Armeeverein Steaua und das Securitate-nahe Team von Dinamo aufeinander. Das Spielfeld ist zugeschneit, aber Schiedsrichter Adrian Porumboiu pfeift das Spiel an. 25 Jahre später sehen sich der Filmemacher Corneliu Porumboiu und sein Vater Adrian das Spiel gemeinsam an. Porumboius Found-Footage-Film „Al doilea joc“, der aus einer alten Fernsehaufzeichnung des Spiels besteht, die Vater und Sohn aus dem Off kommentieren, ist eine politische Parabel und eine verschneite Hommage an die Goldene Ära des rumänischen Fußballs, ein Jahr vor der politischen Revolution.

■ 16. 2., Cubix 7, 15 Uhr

Ihr Vater sagt an einer Stelle auch, dass aus diesem Spiel nie ein vernünftiger Film entstehen könne. Er war anderer Meinung als Sie.

Mein Vater lebt in der Gegenwart. Er hat den fertigen Film bis heute auch nicht gesehen. Aber er ist überzeugt, dass ich bessere Filme machen kann.

Und wie denken Sie darüber? Besitzt „Al doilea joc“ für Sie denselben Stellenwert wie Ihre Spielfilme „12:08 Östlich von Bukarest“ und „Police, Adjective“?

Absolut. Es ist ein wichtiger Film für mich. Vielleicht der persönlichste Film, den ich bisher gedreht habe.

Nach dem Schlusspfiff verabschieden Sie sich von Ihrem Vater mit den Worten „Gut gemacht, alter Herr!“ Darin schwingt auch Stolz mit. War das Stolz auf seine sportliche Leistung oder auf seine Lebensleistung, den politischen Kräften stets getrotzt zu haben?

Das Kompliment war rein sportlich gemeint. Das Spiel war sehr kräftezehrend, das spürt man. Zu diesem Zeitpunkt des Films spielt das Politische in unserem Gespräch nur noch eine untergeordnete Rolle. Und ich bin darüber im Nachhinein eigentlich auch ganz froh.