: Wer oft scheitert, ist noch keine gescheiterte Existenz
ELF FRAUEN Lothar Lamberts Dokumentarfilm „Alle meine Stehaufmädchen – Von Frauen, die sich was trauen“ läuft in der Brotfabrik
Es wird oft beklagt, dass Frauen über 40 unsichtbar seien, vor allem in der Filmwelt. Davon kann in Lothar Lamberts neuem Film, „Alle meine Stehaufmädchen – Von Frauen, die sich was trauen“, keine Rede sein. Mit elf verschiedenen Frauen, die alle älter als 40 sind, hat Lambert Interviews geführt. Seine Hausmeisterin Ilona Fath und die Berlinale-Fotografin Erika Rabau, eine enge Freundin Lamberts, die auch schon in einigen seiner Filme aufgetreten ist, sind dabei, außerdem eine exhibitionistische Pädagogin, eine Schauspielerin und eine Nachtclubbesitzerin. Es sind Frauen, die Lambert interessant findet. Ob er sie gerade erst kennengelernt hat oder schon seit Jahren mit ihnen vertraut ist, spielt dabei keine Rolle.
Gemeinsam mit Lambert blicken die „Stehaufmädchen“ auf ihr Leben zurück. Er sucht nach ihren Extremen, ihren Tiefpunkten, ihren Abgründen und nach den Wendepunkten in ihren Biografien. Es sind für Berlin typische Erzählungen von Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen. Häufiges Scheitern im Leben macht noch lange kein gescheitertes Leben.
Doch Lambert ist kein Soziologe, sondern Filmemacher, und so geht es ihm nicht nur um das Erzählte, sondern auch um das Ungesagte, die Mimik, das, was nicht ausgesprochen, aber von der Kamera trotzdem eingefangen wird. „Alle meine Stehaufmädchen“ ist eine Motivcollage, die das Leben so zeigen will, wie man es selber oft erlebt: unvollständig, fragmentarisch, angerissen. Die Narration folgt Stichwörtern, nicht Themenblöcken. Der Film bricht dadurch das Lineare biografischer Rückblickserzählungen auf, dennoch transportiert er ein konsistentes Frauenbild in dem Maße, wie er an die Komplexität von Frauen glaubt, an ihre Kraft, an ihre Zähigkeit. Männer kommen in diesen Erzählungen sowieso nur in der Nebenrolle vor.
Von Vorlieben sprechen
Der explizite Sex, für den Lamberts frühere Filme bekannt waren, kommt in „Alle meine Stehaufmädchen“ lediglich in den Erzählungen der Frauen vor. Je weiter die Interviews fortgeschritten sind, desto offener berichten sie von ihren Vorlieben und ihren Erfahrungen, von Verletzungen, aber auch von Langweile und nicht erfüllten Leidenschaften.
Auch wenn Lothar Lambert die Frauen im Laufe der Dokumentation immer mehr aus der Reserve lockt, rückt er sich selber nicht in den Mittelpunkt. Es ist eine feine Balance, die er in den Interviews hält: Weder will er unsichtbarer, Objektivität suggerierender Befrager sein noch Mittelpunkt des Films. „Alle meine Stehaufmädchen“ ist trotzdem nicht nur ein Rückblick auf das Leben der elf Frauen, denn Lambert greift auch Fragen seines eigenen filmischen Schaffens noch einmal auf, erkundet Berliner Nischen, Hetero- und Homosexualität, Freuden und Leiden sexueller Praktiken.
„Alle meine Stehaufmädchen“ hatte seine Premiere auf der diesjährigen Berlinale, wie so viele andere Filme Lamberts. Gezeigt wird er jetzt in der Berliner Brotfabrik, mit der Lambert ebenfalls schon öfter kooperiert hat. Das passt ja auch gut: So wie seine Filme in den Nischen existieren, liegt das kleine Kino am Rande des Berliner Kino-Koordinatensystems. Dafür muss man Lambert dankbar sein: dass er Relevanz nicht mit dem Mittelpunkt des Geschehens verwechselt und dort eine ganz eigene Schönheit findet, wo es nicht strahlend glänzt. NINA SCHOLZ
■ „Alle meine Stehaufmädchen – Von Frauen, die sich was trauen“. Regie: Lothar Lambert. Dokumentarfilm, Deutschland 2009, 82 Min.