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Archiv-Artikel

Das Tier und wir

Handzahmes Dokutainment als kuschelig retardierte Nachmittagsunterhaltung: „Eisbär, Affe & Co.“, „Die Tierretter von Aiderbichl“ (ARD) und „Ruhrpottschnauzen“ (ZDF) wecken den Mann im Tier

Im Fernsehen gilt der Grundsatz: je näher das Tier, desto ferner die Gedanken

VON CLEMENS NIEDENTHAL

In der Gesellschaft von Tieren fiele ihm das Denken leicht, hat Claude Lévi-Strauss einmal gesagt. In diesen Tagen müsste der große Ethnologe einfach nur den Fernseher anschalten, um zu großen Gedanken zu finden. Denn im Fernsehen sind die Tiere momentan allgegenwärtig. Woraus, um das vorwegzunehmen, folgende Frage resultiert: Warum nur sind gleichzeitig die großen Gedanken so fern? Oder gibt das neue, kuschelig retardierte Tierfernsehen vielleicht doch mehr Antworten, als man es beim virtuellen Tigerbabystreicheln zunächst bemerken will? Sind die „Tierretter von Aiderbichl“ nicht auch Heilsbringer in einer viel grundlegenderen Mission? Und wie steht es überhaupt um eine Gesellschaft, die so ganz offensichtlich auf den Hund gekommen ist? Und auf das Opossum, das Fjordpferd, den Ameisenbär.

Dabei sollten die Tiere zunächst nur eine Lücke füllen, die die Menschen hinterlassen hatten. Mit Gerichtsshows und Telenovelas hatte sich das öffentlich-rechtliche Nachmittagsprogramm zum Problemkind entwickelt: schlechte Quoten und schlechte Unterhaltung. Laiendarsteller mühten sich in Gefühlsverrenkungen, die nicht einmal mehr als Imitationen des Lebens durchgingen. Also gingen die Programmmacher dorthin, wo auch einsame Witwen einen letzten Rest Wahrhaftigkeit vermuten. Plötzlich war das Tierfernsehen wieder da. Und das Tier wurde zum Star. Zu einem Star ohne Allüren.

Wenn nicht die Deutschlandtour durchs Land radelt, kann man sich also werktäglich nach 15 Uhr zwei Stunden lang durch deutsche Tierparks zappen. Wobei das Zappen dankenswerterweise bereits die Bildregie übernimmt. Vom parodontösen Nilpferd zum trächtigen Hängebauchschwein und weiter zum altersweisen Orang-Utan-Häuptling. Putzig anzuschauen sind sie allesamt. Und so authentisch.

Die ARD hat im Oktober 2005 mit diesem ziemlich handzahmen Dokutainment angefangen. „Elefant, Tiger & Co.“ hießen die so genannten Alltagsabenteuer aus dem Leipziger Zoo, ab April fortgesetzt als „Panda, Gorilla & Co.“ aus den Berliner Tiergärten und inzwischen im Stuttgarter Zoo angekommen („Eisbär, Affe & Co.“). Fast zeitgleich startete das ZDF seine „Berliner Schnauzen“. Auch dort ist man inzwischen umgezogen. Die „Ruhrpottschnauzen“ leben ihr augenscheinlich telegenes Leben hinter nordrhein-westfälischen Gehegegittern. Das Konzept beider Sendungen ist so simpel wie identisch. Gemeinsam mit sympathischen Tierpflegern – jenen ganz normalen Menschen, die den Nachmittagstalkshows längst abhanden gekommen sind – füttert der Zuschauer die Geier, begleitet die Elefantendame zur Pediküre und Buna, das älteste Zoozebra der Welt, zum Veterinärmediziner. Die 27-Jährige hat Hüftprobleme – ganz so, wie wir es ja auch von Oma kennen.

Das Tierfernsehen war ein Initiationsritus der deutschen Fernsehkultur. In knapp zweihundert Folgen hatte Bernhard Grzimek seit 1956 „Ein Herz für Tiere“. Legendär sein näselnder Gleichmut und die Studioauftritte von Schimpansen und Geparden, die er mit freundlicher Bestimmtheit in ihre Schranken wies: „So, nu’ mach mal Platz.“

Ging es Bernhard Grzimek allerdings darum, den Zuschauern das Fremde im Tier näher zu bringen, versucht „Panda, Gorilla & Co.“ umgekehrt, die Entfremdung des Menschen im Tier aufzulösen. Längst ist auch das exotischste Tier nicht mehr das unbekannte Wesen, sondern nur noch ein allzu menschlicher Bekannter. Seine triebhaften oder auch nur pragmatischen Verhaltensmuster werden beseelt und in das menschliche Gefühlssortiment eingeordnet: „Die liegen gern nebeneinander rum, schwimmen zusammen und versuchen, sich hin und wieder auch zu besteigen“, berichtet etwa Tierpfleger Klaus Dedekind aus dem Miteinander zweier Krokodilmänner, „die sind eben schwul, und das ist auch gut so“. Wo einst vom Tier im Manne die Rede war, wird nun der Mann, die Frau und gern auch die christlich-abendländische Idealfamilie ins Tier projiziert: „Rosa und die anderen halten nach dem Mittagessen gemütlich Siesta – oder sie kümmern sich um Erziehungsfragen.“

Von den Schweinen auf dem Gut Aiderbichl ist in diesem Fall die Rede, Schauplatz einer weiteren Tier-Doku – wenngleich „Die Tierretter von Aiderbichl“ (ARD) auch die eigenartige Welt des mehrfachen Millionärs Michael Aufhauser ausstellen. Er hat aus einem Bauernhof im Salzburger Land einen Gnadenhof für betagte und misshandelte Tiere gemacht. Seine Freunde, Uschi Glas, Cora Schumacher oder Karl Moik, kommen nun regelmäßig vorbei, um die Schweine zu streicheln und Aufhausers Arbeit generös zu unterstützen. Wovon die ARD nichts erzählt, dafür aber die Illustrierten des Münchner Gong-Verlags, der exklusive Medienpartner des mildtätigen Tierschutzunternehmers.

„Die Tierretter von Aiderbichl“ erzählen lieber vom bösen Viehhändler – auch so eine komische Kulturkonstante –, der sich vom Scheckbuch Aufhausers erweichen lässt. Und sie erzählen vom „Wellness-Tag“ der beiden vor der Salamifabrik geretteten Pferde: „Da könnt’ man glatt neidisch werden.“ Oder aber glücklich ob so viel kindlicher – Verzeihung: tierischer Freude – in der Welt.

Immer wenn man ein Tier beobachtet, hat man das Gefühl, ein Mensch, der drin sitzt, macht sich über einen lustig, hat der schlaue Elias Canetti gesagt.